kurzer Zeit eine gewissen Unbehagen Platz, denn es war ein Extrazug, und der Erlösung verheißende Lokomotivenpfiff wollte sich noch immer nicht hören lassen. Hier und da ward bereits durch die Nase gegähnt; der Zeitungsjunge stand auf dem Punkte angeschnauzt zu werden, und immer noch Stillstand. Die Unruhe wuchs. Da war aber einer unter ihnen, ein seßbarer Mann, der sprach: „Liebe Freunde, die Zeit ist ein kostbar Gut, nutzen wir sie, auf daß wir nicht Schaden nehmen an unsrem Leibe. Kennen Sie das Wort .Frühstück 1 ?“ — Und man kannte es. Da wuchsen hervor Flaschen und Fläschlein in allerlei Gestalt, angefüllt mit Port und Cherry und Unger, und die Gesichter einer bevorzugten Minorität erheiterten sich. Der flüssige Inhalt indessen verschwand bald; selbst ein Lebenselixier, von Bruder Lorenzo in alchimistischer Zelle gebraut, war bereits eingenommen und keineswegs „alle zwei Stunden einen Eßlöffel voll“, da schnitt der scharfe Pfiff der Lokomotive dem schon wach werdenden Reuegefühl über Verschwendung den Lebensfaden entzwei, und hin brauste der Zug durch die historischen Gefilde der Rehberge, vorüber an Spandau und seinem Galgen, bis Waggon und Tunnel-Insassen plötzlich hielten; das Ziel war erreicht. Der Wald lag vor uns, frisch und duftig, voll Erdbeerblüte und Finkenschlag, aber freilich Finken krug war noch weit. „Je weiter, desto besser“, mochte mancher denken und schritt lustig drauf los. Da war aber einer unter ihnen, der sprach: „Liebe Freunde, keine Überstürzung! Warum ,gehn‘? Wir sind zu einer Wald fahrt und zu keinem Waldgang aufgefordert worden; ich gebe das Ihrer Erwägung anheim.“ Aber da gab’s kein Erwägen! Den Wald durch fahren, das ist Kaviar ohne Zitronensaft, das ist Mozartsche Musik auf verstimmten Instrumenten; wer im Wald nicht wohnen kann, der will ihn wenigstens durchwandern.
Der Krug war erreicht; das offizielle Frühstück folgte dem improvisierten im Coupe; Schinken und Schwarzbrot ward in anerkennenswerter Weise vertilgt, und die erfrischten Lebensgeister brachen alsbald in den Schlachtruf aus: „Vorwärts, in den Wald!“ Ernst Schultze übernahm das Führeramt, sprach von einer dicken historischen Eiche, unter der schon dem Czernybog geopfert worden sei, und stellte sich als beglaubigter Pfadfinder, unangefochten wie Lederstrumpf, an die Spitze unsrer Expedition. Der Tag war schön; das Eichendorff sehe „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ ward zwar nicht gesungen, aber von manchem desto tiefer empfunden. Der Himmel blaute, die Waldesnachbarin, die Wiese, bot Blumen und Schmetterlinge; letztren gesellte sich auch, auf daß nichts fehle, ein Berliner Kalitten-Jäger, „ein famoses Individuum“, um in seiner eignen Sprache zu reden. Alles war da oder fand sich — nur nicht die Eiche Czernybogs. Da war es wie weiland auf dem Schiffe des Kolumbus, Meuterei brach aus, und eine wohlbekannte Stimme sprach: „Was soll dieser rastlose Fortschritt? Ich bin für Stillstand. Mag, wer will, mit [...] Ernst oder einem beliebigen Windspiel um die Siegespalme streiten. Chacun ä son goüt, und ich habe den meinen!“ Gesagt, getan; der Sprecher lagerte sich und hatte den Triumph, binnen wenigen Minuten den Tunnel lang ausgestreckt um sich herum zu sehn.
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