Das Gedicht, bei Enthüllung des Friedrich-Denkmals im Geiste empfan gen, wendet sich an unsren König, gibt in den Einleitungsstrophen ein Bild des festlichen Tages selbst, dann aber, „am Strom der Zeit hinaufgehend“, verharrt es bei jener Stunde, wo vor fast anderthalb Jahrhunderten ein Hohenzollerscher Ahn, zu gleicher Festlichkeit, auf dem Balkon seines Schlosses stand und hinüberblickte auf das metallblitzende Bid des Großen Kurfürsten, dessen Hüllen soeben gefallen waren. Der Dichter, alsdann jenen Tag beschreibend: seinen Glanz und seinen Jubel, zieht im Verlauf des Gedichts durch einfaches Geben faktischer Verhältnisse die doppelte Parallele zwischen den beiden großen Männern in Erz und den beiden Epigonen, denen bei eignem Verdienst vor allem auch die Aufgabe blieb, das größere zu verherrlichen.
Als Grundgedanke der Ode ergibt sich der, daß den beiden kühnsten und größten Hohenzollern vor allem andern zweierlei gemeinsam war: das Streben nach einem mächtigen Deutschland und ränkevoller „Neid“ — als Lohn dieses Strebens.
Das Gedicht fand gleich nach dem ersten Lesen das Maß von Zustimmung, das dem erschwerten Verständnisgrad derartiger Dichtungen entsprechend ist. Der Verfasser selbst weiß am besten, was Platen in seiner Ode „Los des Lyrikers“ über den Flug des Pindar und die Kunst des Flaccus sagt: „langsamer — so heißt es daselbst — prägt sie sich uns ins Herz“ und „es dringt kein flüchtiger Blick in ihre mächtige Seele.“
Es war somit wohlangebracht, daß der Tunnel mit seinem Urteil, sei’s Lob, sei’s Tadel, zunächst zurückhielt und sich mehr in Fragen und Vermutungen erging. Die zweite Lesung ward schließlich überwiegend gewünscht und schlug dem Gedichte zum Heile aus; die Anerkennung war fast allgemein. Hölty, wenn ich recht verstanden habe, fand keinen rechten Kern und geistigen Gehalt in der Dichtung, weder in der Anlage des Ganzen noch im einzelnen, konnte jedoch mit seiner Meinung nicht durchdringen. Nur vom Dichter selbst wurde dies und das dankbarst akzeptiert, z. B. der Ausspruch, daß derartige Dichtungen nur bei den Griechen heimisch sein konnten, weil der festabgeschlossene Sagenkreis, worin sich die Festgesänge bewegten, Allgemeingut und deshalb die Gedichte selbst allgemein verständlich waren. Unserer vaterländischen Geschichte ward ein dementsprechendes Leben und Weben im Herzen des Volkes abgesprochen und daraus gefolgert, daß ein Stück Historie, wie es die Schenkendorfsche Ode bringe, mehr oder minder interesselos bleiben müsse. Diese Interesselosigkeit der großen Menge ist nicht wegzudisputieren, sollten aber die Gründe nicht ganz woanders liegen?!
Zum Schluß der Sitzung las Lafontaine einen Bastard von Ballade und dramatischer Szene unter dem Namen „Raleighs letzte Nacht“. Die Arbeit gefiel, und ward weiter nicht darüber abgestimmt, sogar nicht einmal darüber gesprochen, denn es war bereits 7 Uhr, und „da hört alles auf“.
Uber den nächsten Deliberations-Tunnel behielt sich das Haupt nähere Bestimmungen vor. Es werden dann außer der Hauptwahl auch einzelne
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