Am 31. Mai waren bei klarer Sicht vor der Südküste Englands zwei deutsche Panzerschiffe zusammengestoßen; der „Große Kurfürst“, der erst 1875 vom Stapel gelaufen war, sank sofort und riß 274 Matrosen mit in die Tiefe. Am 2. Juni unternahm Nobiling in Berlin einen Attentatsversuch auf Wilhelm I., nachdem Hödel bereits am 11. Mai auf den Kaiser geschossen hatte. Die Anschläge, die nachweislich von Außenseitern verübt worden waren, lieferten Bismarck den willkommenen Vorwand für eine Kampagne gegen die Sozialdemokraten (die im Oktober schließlich zu den Antisozialistengesetzen führte).
Für Fontane waren diese Vorgänge akuter Anlaß, seine Haltung gegenüber Preußen und der Arbeiterbewegung erneut zu überprüfen, und in der Korrespondenz mit seiner Frau legte er darüber höchst bemerkenswerte Geständnisse ab. Man lese noch einmal nach, was er etwa am 5. Juni über die vollkommene Ebenbürtigkeit von Millionen Arbeitern und am 8. Juni über die perfekte Unfähigkeit preußischer Militärs schrieb. In diesen Briefen markiert sich der Beginn jener politischen „Linksentwicklung“, die mit dem wachsenden Selbstverständnis des Schriftstellers Fontane synchronisiert ist (dessen erster, in Jahrzehnten gereifter Roman, „Vor dem Sturm“, in ebenjenen Wochen im Vorabdruck erscheint). Daher wird der Briefwechsel mit Frau Emilie auch von sehr persönlichen Auseinandersetzungen geprägt, in denen Fontane selbstbewußt seine Position im Kreis der Berliner Freunde bestimmt, denen er sich mit Recht überlegen weiß. Da Frau Emilie im ehelichen Streitgespräch weit origineller und liebenswürdiger auftritt, als Fontanes Briefe es widerspiegeln, geben wir im folgenden beiden das Wort 1 .
Mein lieber, alter Mann.
Neuhof, 11. Juni 1878
Ich beeile mich, Deine heutigen Zeilen, mit der „Argwohns-Abhandlung“, zu beantworten 2 . Vorläufig war ich froh, daß Du nichts Schlimmeres schriebst, denn ich war schon auf alle möglichen Greuel gefaßt, die Dir am Preß-Theaterabend 3 passiert seien, da Theo mir geschrieben, Du hättest dabei solchen Ärger gehabt. Bei manchem möchte ich Dir doch auch zurufen: take it easy 4 . Wenn ich jetzt so aus der Ferne Deine Kritiken zu lesen bekomme, so fällt mir den armen Schauspielern gegenüber immer wieder ein gewisser schulmeistriger Ernst, eine Art schmerzlicher Resignation auf. Und daran möchte ich gleich anknüpfen, um über Deine Bedenken zu Deinen Freunden etc. zu reden. Daß die Genannten Dich alle lieben u. verehren, davon bin ich wie von meinem Leben überzeugt, u. ich glaube auch angeben zu können, wodurch dann und wann Deine Zweifel entstehen. Selbst sehr kühl u. wenig aufmerksam den Freunden gegenüber (so beabsichtigest Du am Donnerstag, an Heydens Geburtstag 5 , ein kleines Diner zu geben, wozu Du ihn doch wohl nicht eingeladen hättest? Heydens, die Dir manchen Geburtstag verherrlicht haben.), bist Du in the long run* so verwöhnt von allen Menschen, daß Du auch ein bissei viel Aufmerksamkeit verlangst. Daß
103