sonen, und ihre Porträtierung war mir wichtiger als die Geschichte.“ Und er fährt mit übertreibender Selbstkritik fort: „Das soll gewiß nicht sein, und der eigentliche Fabulist muß der Erzählung als solcher gerechter werden. Aber das steckt nun mal nicht in mir. In meinen ganzen Schreibereien suche ich mich mit den sogenannten Hauptsachen immer schnell abzufinden, um bei den Nebensachen liebevoll, vielleicht zu liebevoll verweilen zu können.“ 9 Nirgends sonst hat Fontane die Geschichte eines Romans (wenn sein Roman schon eine Geschichte hatte, was sich zuletzt bekanntermaßen auch noch änderte) so leichten Herzens preisgegeben wie hier und statt dessen die Porträtierung zweier oder besser einer Figur zur Hauptsache gemacht. Einer Figur, denn in dem oft zitierten Widmungsgedicht zu „Stine“ heißt es ja dann:
Will dir unter den Puppen allen
Grade „Stine“ nicht recht gefallen,
Wisse, ich finde sie selbst nur soso, —
Aber die Witwe Pittelkow!
Graf, Baron und andere Gäste,
Nebenfiguren sind immer das Beste .. . 10
Der Graf rangiert unter den Nebenfiguren in diesen Versen: die Pittelkow ist für Fontane Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, ihre Erscheinung beherrscht den Roman. Sie ist erstmalig, „noch nicht dagewesen“. Worin aber besteht das Neue an ihr? Schon der zweite Satz, der im Roman über sie gesprochen wird, verkündet das Programm: „ sie kehrt sich an nichts.“ Das besagt freilich nicht viel. Die Gleichgültigkeit gegenüber herkömmlichen Verhaltensweisen und gegenüber der konventionellen Moral ist nichts, was die Pittelkow in besonderer Weise auszeichnete. Ihr „Verhältnis“ zum alten Grafen Haldern wird im Roman selbst als etwas besprochen, das sich zwar mit der öffentlich geforderten Moral nicht deckt, aber doch auch nichts Außergewöhnliches ist. Die alte Dörr hatte ihren Grafen („...der war auch man ganz simpel und bloß immer kreuzfidel und unanständig“ III/97) 11 und die Pittelkow eben auch, und im übrigen machen beide Romane Fontanes Überzeugung sichtbar, daß die Hüter der Moral eine Position zu halten suchen, zu deren Verteidigung eine unverfrorene Verlogenheit die wichtigste Voraussetzung ist. Er hat das in einem Brief an Schlenther ganz deutlich ausgesprochen: „...daß der alte sogenannte Sittlichkeitsstandpunkt ganz dämlich, ganz antiquiert und vor allem ganz lügnerisch ist, das will ich wie Mortimer auf die Hostie beschwören.“ 12 Nicht anders spricht er sich schon 1887 in einem Brief an seinen Sohn Theo zu demselben Problem aus: „ ... gibt es denn ... noch irgendeinen gebildeten und herzensanständigen Menschen, der sich über eine Schneidermamsell mit einem freien Liebesverhältnis wirklich moralisch entrüstet? Ich kenne keinen und setze hinzu, Gott sei Dank, daß ich keinen kenne. Jedenfalls würde ich ihm aus dem Wege gehn und mich vor ihm als einem gefährlichen Menschen hüten.“ 13 Und Fontane formuliert das auch so, als ob das, was der Leser in der Wirklichkeit als mehr oder weniger selbstverständlich hinzunehmen gelernt hat, von ihm