Heft 
(1974) 18
Seite
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Man kann dieses Neue an ihr nur dann richtig beurteilen, wenn man ihre Haltung vergleicht mit der Stines und Lenes. InIrrungen, Wirrungen wird man keinen Hinweis darauf finden, daß Lene zu irgendeinem Zeit­punkt an einen glücklichen Ausgang ihres Liebesverhältnisses mit Botho glaubt. Wenn sie auch ahnen mag, daß ihre Liebe stark und groß genug ist, um das Herz Bothos zu binden über den unvermeidlichen Bruch hinaus, die Unabänderlichkeit dieses Bruchs bleibt ihr selbstverständlich. Und zwar nicht nur, weil sie weiß, daß die Standesschranken für sie un­überwindbar sind, und auch nicht, weil sie sich menschlich unterlegen fühlte, sondern es geht um eine im Letzten unerklärliche Scheu vor der substantiellen Andersartigkeit des Partners, einer Unterschiedlichkeit, die in der Begegnung mit diesem anderen das Aufblicken zu ihm zur Grund­haltung macht. Es liegt in diesem Urteil keine Unterschätzung Lenes; es gilt von ihrem Selbstbewußtsein durchaus, was Botho selbst an ihr wahr­nimmt:Dazu bist du viel zu stolz und eigentlich eine kleine Demokratin und ringst dir jedes freundliche Wort nur so von der Seele. (117) Aber was man ihr auch an menschlicher Größe zubilligen mag (und man wird hier nicht zu weit gehen können), es bleibt in ihr das Grundgefühl leben­dig, daß ihre Liebe zu Botho für sie etwas wie ein Geschenk ist, gleich­sam als sei damit ein Glanz aus einer höheren Welt in ihr Dasein ge­fallen. Ihre Liebe hat sie über sich selbst hinausgehoben, etwas wie ein Zauber hat in ihr Leben hineingewirkt aus einer Welt, die nicht die ihre ist, an der sie nur zeitweilig Anteil gewinnt durch den Geliebten. Ihr Brief an ihn im 6. Kapitel macht diese Aufblickshaltung ganz deutlich: Lene, die von Botho einige Tage hindurch vernachlässigt worden ist, hat es ohne ihn nicht ausgehalten, und so hat sie ihn beobachtet: ... wenn ich Dir eben schrieb, ich hätte Dich fünf Tage lang nicht gesehen, so hab ich nicht die Wahrheit gesagt; ich habe Dich gesehn, gestern, aber heim­lich, verstohlen, auf dem Korso. Denke Dir, ich war auch da, natürlich weit zurück in einer Seiten-Alleh (!), und habe Dich eine Stunde lang auf- und abreiten sehen. (120) Der Leser weiß, daß es ihr in ihrem Umgang mit Botho durchaus nicht an Selbstgefühl fehlt, aber daneben ist sie zutiefst von dem Wissen durchdrungen, daß der Geliebte einer anderen Welt gehört, einer höheren und glänzenderen, angesichts derer sie sich auf einen Platz weit zurück in einer Seitenallee verwiesen sieht. Botho steht im Lichte gesellschaftlicher Privilegien, Lene im Schatten der Nichtzugehörigkeit. Und sie empört sich nicht dagegen, sie leitet aus dem Bewußtsein ihrer überlegenen Menschlichkeit keine Ansprüche auf gleichstellende Behandlung ab. Die bestehende Gesellschaftsordnung gilt ihr als unumstößlich, nur ein Traum ist ihr die Vorstellung, sie könnte sich mit Botho dieser gesellschaftlichen Öffentlichkeit auch nur zeigen: Weißt du, Botho, wenn ich dich nun so nehmen und mit mir die Läster­allee drüben auf- und abschreiten könnte... und könnte jedem sagen: ,Ja, wundert euch nur, er ist er und ich bin ich, und er liebt mich und ich liebe ihn, ja, Botho, was glaubst du wohl, was ich dafür gäbe? (118) Es ist klar, daß sie sich die eigene gesellschaftliche Stellung gar nicht denken kann, ohne den Adel mitzudenken, daß sie ihre eigene gesell­schaftliche Ortsbestimmung unwillkürlich verknüpft mit dem Bewußtsein,

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