Heft 
(1974) 18
Seite
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durch das bloße Vorhandensein des Adels ihren Platz, ihren niederen Rang, bestimmt zu erhalten. Ihr unbestechlicher Sinn für Realitäten er­laubt ihr keine Illusionen.

Und dem entspricht Stines Selbstverständnis in ihrem Verhältnis zu dem jungen Grafen Haldern durchaus. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob sich Lene an Stines Stelle so verhalten hätte wie diese. Wichtig ist, daß Stines Zurückschrecken vor der Bindung an Haldern aus denselben Motiven stammt, die Lenes Überzeugung bestimmen, daß ihr Verhältnis zu Botho nicht dauern könne. Bezeichnend ist, daß sich Stine bei der Zurückweisung Waldemars auf ein Feenstück beruft, das sie in ihrer Kindheit einmal gesehen habe:Das Glück der Liebenden, so hatte die Fee gesagt,würde für immer hin sein, wenn ein bestimmtes Wort gesprochen oder ein bestimmter Name genannt werde. (300) Sie sieht ihr Verhältnis zu Waldemar im Lichte eines Märchens; es konnte sich

nur entfalten fernab aller Wirklichkeit und ihrer Ansprüche: .nun

ist es vorbei, weil die Menschen davon wissen. (300) Es geht hier nicht darum, ob Fontane Mesalliancen für möglich gehalten hat oder nicht. Daß sie unter seinen Zeitgenossen möglich waren, wußte er so gut wie alle anderen. Es geht um das Bewußtsein, das dem Eingehen einer solchen Mesalliance auf der Seite der Unterlegenen zugrunde liegt. Stine meint, durch ihre Liebe der Weihen einer höheren Welt teilhaftig geworden zu sein. Sie hat, im Verborgenen stehend, heimlich Anteil

genommen an einer Welt, der sie nicht zugehört: .es war mein Stolz,

ein so gutes Herz wie das deine lieben zu dürfen; und daß es mich wieder liebte, das war meines Lebens höchstes Glück. Aber ich käme mir albern und kindisch vor, wenn ich die Gräfin Haldern spielen wollte. (300) Das deutet darauf hin, daß die Liebe wohl insgeheim zwischen zwei getrennten Welten für eine Zeit Brücken schlagen, daß aber der Gedanke der Vereinbarkeit dieser Welten nicht gedacht werden kann; und zwar deshalb, weil diese andere Welt nicht nur als anders­artige begriffen wird, sondern als qualitativ verschieden. In der Berüh­rung mit ihr ist immer ein Stück Märchen lebendig, ein Stück Feenreich gegenwärtig. Der Wechsel in Stines Perspektive ist dabei ganz auffällig. In dem zurückliegenden Gespräch mit ihrer Schwester hat sie ihr pla­tonisches Liebesverhältnis zu dem jungen Haldem noch verteidigt mit dem Hinweis, daß ihm in ihr zum ersten Male ein wirklicher Mensch begegne. Weder im Hause seiner Eltern noch unter Kameraden und Vorgesetzten hat er Menschen sprechen hören. Daß er sie liebt, ohne ihrAnbeter oderLiebhaber zu sein, erklärt sie mit ihrer Mensch­lichkeit. Aber wie gering der Auftrieb ist, den ihr dieses Selbstgefühl (das ihr obendrein noch Haldern eingeredet hat:Ich denke mir das nicht aus, ich hab es von ihm, es sind seine eigenen Worte.) (273) gibt, wird ersichtlich, wenn sie in demselben Gespräch meint:Das ist der Grund, daß ich armes Ding ihm gefalle... (273). Kein noch so klares Bewußtsein ihrer schönen Menschlichkeit reicht für sie aus, sich neben ihn zu denken. Wie verkümmert diese Menschlichkeit der anderen auch sein mag, im Bewußtsein derarmen Dinger triumphiert das Wissen