meint, die Verbindung mit dem jungen Haldern sei für ihre Stine ein Unglück, so entsteht auch für sie dieses Unglück aus der Ungleichheit der Herkunft. Voller Komik ist das erstaunt-empörte „Was?“ des alten Haldern, als sie die Liaison mit dem jungen Grafen als „ein Unglück für meine Stine“ bezeichnet (294), während der Graf meint, daß eben diese Verbindung den Kleinbürgern höchstes Glück sein müßte.
Der Kunstschlosser aus der Nachbarschaft wäre der Pittelkow für ihre Schwester lieber. Damit söhnt sie zwar im Endeffekt den Grafen aus, nicht aber, ohne ihm klargemacht zu haben, wie sie sein Verhältnis zu ihrer Person beurteilt. Nimmt nämlich der Kunstschlosser die Stine, „dann geh ich nächsten Sonntag in’n Dom oder zu Büchsein und weine mir aus und danke dem lieben Gott für seine große Guttat un Gnade, was ich nu schon eine gute Weile n i c h gedhan habe.“ (294) Dieses gesperrt gedruckte und also mit Betonung gesprochene „ n i c h “ macht dem Grafen seine Rolle deutlich: wenn er noch immer glaubt, die Pittelkow „aus dem Kehricht aufgelesen zu haben“, (291) so wird ihm hier bescheinigt, daß die Witwe selber keineswegs meint, um seinethalben Gott für eine Guttat und Gnade danken zu müssen. Im übrigen weist sie ihrer Stine schon zu Anfang des Gesprächs eine Stellung zu, die sie allein vom Wert ihrer Person her nicht auf einen bestimmten Bewerber angewiesen sein läßt: „Mein Stinechen ist kein Mächen, das sich an einen hängt oder mit Gewalt einen ’rankratzt, Graf oder nich, un hat’s auch nicht nötig. Die kriegt schon einen. Is gesund un proper un kein Untätchen an ihr, was nich jeder von sich sagen kann. He?“ (294) Der wohlgemeinte Versuch des Grafen, seinen Neffen gegen die einem „schlechten Charakter“ entspringenden Vorwürfe in Schutz zu nehmen, geben der Witwe nur neue Angriffsmöglichkeiten. Zwar bekennt sie sich zunächst auch für ihre Person „fürs Vaterland und für Wilhelm“ — was die realistischen Einschätzung des Kleinbürgertums auch in seinen selbstbewußtesten Vertretern durch Fontane erkennen läßt — aber dann rechnet sie doch auf eindrucksvolle Weise mit dem Imponiergehabe des zeitgenössischen Adels ab, der die Verdienste für die Reichsgründung fast allein für sich in Anspruch nahm: „Un denn, Graf, man nich immer jleich mit die Halderns...“ (295) Die Leistungen derer, die „nich zu Pferde“, sondern „bloß auf Gebrüder Benekens“ vorwärtsstürmten, stehen keineswegs hinter denen der Offiziere zurück. „Ne, ne, Graf, die Halderns haben es nich alleine gemacht un der junge Graf auch nich.“ (295) Das ist mit rigoroserem Selbstbewußtsein vorgetragen, als man es in der Dichtung der Zeit irgendwo finden konnte. Wie sich hier die Erkenntnis des eigenen Wertes artikuliert und zugleich die Dünkelhaftigkeit des Adels geschmäht wird, das sucht seinesgleichen in der damaligen Dichtung. Aber die Pittelkow hat ihren letzten Trumpf noch nicht ausgespielt. Sie kommt auf die Untätchen zurück, die wohl dem Adel eignen, aber nicht ihresgleichen. Der junge Graf ist dabei längst vergessen, es geht jetzt um eine grundsätzliche Neubewertung der Stände: „Ich weiß nicht, wie die Dokters es nennen, aber das weiß ich, es gibt Untätchen schon von’n Urgroßvater her. Un die Urgroßväter, was so die Zeit von’n dicken König
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