Heft 
(1974) 18
Seite
120
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um die von beiden Seiten zu respektierenden Grenzen zu erleben, Grenzverletzungen erlaubt sich der Graf allenfalls dort, wo ihn die Witwe aus Bildungsgründen nicht kontrollieren kann, aber selbst dann fürchtet er ihrebeispiellose Heftigkeit und hält es für angezeigt, auch der bloßen Möglichkeit eines Sturmes vorzubeugen. (252) Man hat sicharrangiert.

Freilich muß man wenigstens andeuten, daß es einen Grund geben könnte, der der Pittelkow zu einer größeren Selbständigkeit gegenüber dem Grafen verhilft, als der Leser für berechtigt halten mag. Mit einer für Fontane typischen, verschmitzten Verschwiegenheit läßt er das Thema unerörtert, wer denn eigentlich der Vater des zweiten Kindes der Pittel­kow ist. Daß es derkreuzbrave Mann (266) auf dem Totenbett gezeugt haben sollte, ist doch zumindest unwahrscheinlich. Die Liaison mit dem Grafen aber geht, um wieder Stine zu zitieren,ins dritte Jahr (266), und das Kind liegt im Wagen, schreit ungebärdig, erhält die Flasche und wirdganz aristokratisch in weiße Spitzen gekleidet. (235) In einem um Jahre zurückliegenden Gespräch hat der Graf zwar, als der junge Schwilow seine Balletteuse heiratete, versichert, daß er (ausgehend von dem Eingeständnis, daß der Adel Blutauffrischung benötige) für Mes­alliancen und gegen Illegitimitäten sei (280), aber wie der Leser am Beispiel Waldemars erfährt, ist der Onkel jetzt gegen Mesalliancen, weshalb sollte er nicht inzwischen für Illegitimitäten sein? Was legi­timerweise nicht sein darf, hätte dann illegitimerweise längst fröhliches Leben? Olga jedenfalls hat an der aristokratischen Ausstattung der Familie keinen Anteil, und Fontane läßt vieldeutig offen, ob sie benach­teiligt wird, weil sie weniger dazugehört. Sind es diese Umstände, die der Pittelkow in ihrem Verhältnis zu demAlten zusätzlich Sicher­heiten geben? Fontane schweigt sich aus, läßt seinem Leser nur Raum für Mutmaßungen, die zu keiner Antwort führen.

Sicher dagegen ist, daß die Pittelkow ihre Unabhängigkeit und ihr Selbstgefühl nicht geschenkt erhält. Welchen Preis hat sie zu zahlen? Es ist unverkennbar, daß Fontane sie mit einer erstaunlichen Portion Kaltschnäuzigkeit und Gefühlsarmut ausgestattet hat. Die Äußerungen, in denen diese Züge kraß hervortreten, beziehen sich verwunderlicher­weise auf Stine bzw. fallen im Gespräch mit ihr. Das läßt sich nur z. T. damit erklären, daß sie ihre Schwester mit echter Fürsorge umgibt, sie liebt und deshalb herrisch und kalt alle Gefahren abwenden will, die sie auf die Schwester zukommen sieht. Das ließe sich als Erklärung allenfalls für ihre hartherzige Beurteilung Waldemars anführen, als Stine todkrank von dem Begräbnis zurückkehrt:Jott, er war ja so weit ganz gut un eigentlich ein anständiger Mensch, un nich so wie der Olle, der ans Ganze schuld is; warum hat ern mitgebracht? Aber viel los war nich mit ihm; er war doch man miesig. (312) Das ist ihr Versuch, Stine über ihren Verlust hinwegzutrösten, und so läßt sich wohl auch die Fortsetzung des Gesprächs verstehen, wo sie Stine zukunftsfrohe Bilder ausmalt:Un nächsten Sonntag is Sedan, da machen wir auf nachn Finkenkrug un fahren Karussell und würfeln. Un dann würfelst