Heft 
(1974) 18
Seite
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du wieder alle zwölfe. (313) Hier wird aber neben ihrem guten Willen, Trost zu spenden, auch ihre Unfähigkeit ersichtlich, sich in die empfind­same, leicht verletzliche und jetzt schwer getroffene Schwester zu ver­setzen. Was ihr selber als Ausgleich für möglichen Seelenschmerz zu­reichen würde, soll auch der Schwester genügen. Und diese Selbst­bezogenheit wird an anderer Stelle noch grotesker deutlich, wenn sie sich einzureden versucht, daß alles sich zum Besten wenden könne, wenn es nur gelinge, die Liebenden zunächst einmal zu trennen. Da kennt sie Stine zwar genau genug, um zu wissen, daß diese sich keinem Hilferuf verweigern würde. Aber als Wanda dann ihre mit einem Schlächter in Teupitz verheiratete Halbschwester vorschlägt, da stimmt sie zu mit der Überlegung:Un wenn jrade geschlachtet wird, kann Stine ja zusehn und hat en bißchen Zerstreuung. (297) Daß auf einen groben Klotz ein grober Keil gehöre, mag nach ihren Vorstellungen sicher sein, aber daß sie die Feinfühligkeit der Schwester in der Metzgerei kurieren, ihre Seelengefährdung im Schlachten ausheilen will, zeugt von abstoßender Primitivität.

Allerdings wird man sich vor der Meinung hüten müssen, daß Fontane hier Kritik zu üben beabsichtigt. Man kann dahingestellt sein lassen, in­wiefern er in einer solchen Formulierung die natürliche Derbheit des Berliner Kindes zu Wort kommen lassen wollte, sicher ist, daß das, was er für Stine in Anspruch nimmt, auch für die Pittelkow gilt: er läßt sie in der für siezuständigen Sprache reden. In gewisser Weise ist dieser Brutalstil ja wirklich die für die Pittelkow zuständige Sprache, der eine entsprechende Empfindungswelt zugehört. Sie ist die mißbrauchte, ge­schundene und ausgenutzte Kreatur schlechthin. Am Anfang steht die Verführung des unerfahrenen Mädchens, die ihr, Glück im Unglück, neben dem unehelichen Kind auch eine Abfindung bringt, die sie zur guten Partie macht. Was sie indessen so gewonnen, verliert sie durch unglückliche Umstände. Nach dem Tod ihres Mannes nimmt sich der alte Graf ihrer an. Aber diese Liaison, so hilfreich sie ihr einerseits ist, treibt sie doch andererseits in einen bitteren Widerspruch zur herrschenden Moral und führt sie in die Isolation. Sie weiß, daß sie den anderen ver­ächtlich ist, und wenn Stine die Haltung dieser anderen im Gespräch

auch zu relativieren sucht, so weiß die Pittelkow doch selber: .wer

sich in den Rauch hängt, der wird schwarz. (264) So ist die Unbeküm­mertheit, mit der sie die allgemein anerkannten Konventionen bricht, nicht bewußte Provokation der Gesellschaft, sondern Ergebnis einer De­fensivhaltung. In der Welt, in der sie leben muß, braucht sie keine Ge­fühle. Da macht nur ihr Verhältnis zu Stine eine Ausnahme. Was an Güte und Liebe in ihr ist, wendet sie dieser zu, die von ihr mit Recht sagen

kann:.meine Schwester ist sehr gut" (264), wenngleich der zweite Satz

aus ihrem Munde die Sache genauer trifft: sie istseelengut zu mir (266). Mehr Güte kann sich die Pittelkow ganz einfach nicht leisten. Fontane läßt das Stine mit Worten sagen, die an Büchners Woyzeck erinnern: Brav sein und sich rechtschaffen halten, das ist alles sehr gut und schön,