Heft 
(1974) 18
Seite
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Prosa. Zugleich übertrug Fontane eine Vielzahl schottischer Lieder und Balladen frei und wirkungsvoll ins Deutsche, die er teils aus Thomas PereysReliques of Ancient English r-oetry, vor allem aber aus Scotts Minstrelsy of the Scottish Border kannte zwei Bücher, die ihm 1848 in die Hände kamen und die, nach seinen eigenen Worten, auf Jahre hin seine Dichtung und seinen Geschmack bestimmten.Aber mehr als der mir aus ihnen gewordene literarische und fast möchte ich sagen Lebensgewinn gilt mir der unmittelbare Genuß, den ich von ihnen gehabt habe. Fontane suchte seine Zeitgenossen an diesemGenuß teilhaben zu lassen, und die GruppeLieder und Balladen, frei nach dem Englischen nahm hinfort einen stattlichen Raum in seinen Gedicht­bänden ein.**

Fontane war also vorzüglidi vorbereitet, als er seine Pilgerfahrt nach Schottland begann (so ausgezeichnet, daß er die einheimischen Fremden­führer zu ergänzen vermochte!). Die Solidität seines Wissens unterschied ihn sehr wohl von jenen Tausenden Touristen, die, einer literarischen Mode folgend, auch ihren Scott gelesen hatten und sich nun Jahr um Jahr durch Ruinen und über Schlachtfelder führen ließ. Sein Wunsch, das Land Maria Stuarts, Macbeths und der Lady of the Lake von Angesicht zu sehen, war tiefer motiviert, und die Fahrt nach Edinburg wurde ihm zum Aufbruch in eine poetische Provinz. Daß er darüber in einem Buch Rechenschaft geben würde, mag dem leidenschaftlichen und erfahrenen Berichterstatter von vornherein gewiß gewesen sein und wird die Inten­sität der Erlebnisse nicht beeinflußt haben. Die Rückkehr nach Berlin Anfang 1859 verzögerte die Niederschrift, und so konnten die einzelnen Berichte erst seit Frühjahr 1859 in Zeitungen und Zeitschriften veröffent­licht werden; 1860 faßte der Autor dieseBilder und Briefe aus Schott­land in Buchform zusammen und stellte sie unter dem TitelJenseit des Tweed (auf die alte Formjenseit,wodurch die Leichtigkeit des Aus­sprechens sehr gewinnt, legte er in einem unveröffentlichten Brief an seinen Verleger Julius Springer besonderen Wert:Es ist ein bißchen apart, ohne prätentiös zu sein.).

Wie bestand nun das aus Poesie und Begeisterung geformte Bild schotti­scher Geschichte vor der schottischen Wirklichkeit?Jenseit des Tweed ist, so gesehen, ein Buch der Ernüchterung, ja oft der Enttäuschung. Was Fontane vorhatte, war eine Reise in eine romantisch verklärte Vergangen­heit; was er vorfand, war zunächst einmal ein verkehrstechnisch hoch- entwickeltes Land, das zu ebendieser Vergangenheit kein romantisches, sondern ein finanzielles Verhältnis unterhielt. Schon bevor er den Tweed überquert, präsentiert die Stadt York, die die blutige Schlußszenerie seiner Percy-Balladen abgegeben hatte, statt des Doms den Bahnhof und statt des Platzes, drauf Percy starb, eine Restauration mit doppelten Preisen.So gehen uns, kommentiert Fontane nicht ohne Selbstironie, ..die Wünsche unsrer Jugend in Erfüllung. Und als er in Johnstons Hotel in Edinburg ziemlich beklommen die in alten Schlössern aufgekauften Paradebetten mit ihren verschossenen Quasten und Damastgardinen be­staunt und die schweren Träume fürchtet, die man unweigerlich in solchen

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