Schlafgelegenheiten haben müsse, da geraten die „Lieblingsvorstellungen“, die er seit langem an den Namen Schottland geknüpft hatte, erneut ins Zwielicht. Wo einst in High-Street die Paläste der Aristokratie standen, haben „Schmutz, Armut und Hökerkram“ ihre Wohnung aufgeschlagen. Wo nach Ossian an der Westküste die berühmten Helden zu Haus waren, zieht sich ein „öder Küstensaum“ hin, „der sich weigert, einen Grashalm hervorzubringen“. Ein waschechter Hochschotte, „einer aus jenen Clans, die wir uns gewöhnt haben mit jeder Mannestugend auszuschmücken, mindestens aber im Glorienschein unausrottbarer Vaterlandsliebe zu sehen“, dekuvriert sich als ein schlichter Spießer. Und so wundert sich der Reisende kaum noch, wenn genau an der Stelle, wo König Jacob II. in Stirling-Castle eigenhändig den William Douglas umbrachte, ein Schreibtisch aufgestellt ist, an dem ein Bauführer seine höchst prosaischen Rechnungen schreibt.
Dies alles sind Fontanesche Varianten einer romantischen Ironie. Die Realität entzaubert zunehmend das Ideal und spielt dem schwärmerischen Reporter ganz am Ende noch einen bösen Streich: das vielgepriesene Ab- botsford, wo Walter Scott seine unsterblichen Romane schrieb, entpuppt sich als billiger Touristenfang, als absonderliche Geschmacklosigkeit; die Besichtigung endet mit einer offen eingestandenen Enttäuschung, und selbst aus der Begegnung mit Thomas dem Reimer und der Feenkönigin wird der Reisende unsanft von einem Zöllner in die Wirklichkeit zurückgeholt. Das „gelbe Zettelchen als Quittung bürgerlicher Pflichterfüllung“, das man ihm „wie auf vaterländischen Chausseen“ einhändigt, gemahnt ihn nachdrücklich daran, daß man hier die Romantik als Geldquelle längst entdeckt hat. Ja, Fontane ist überzeugt, daß die geschäftsfreudigen Reiseunternehmer auch Lochleven-Castle bald erschlossen haben werden, um „mit Hilfe der Romantik die Aktien steigen zu machen“.
Gewiß sind Fontanes Erfahrungen überraschend, oft schmerzlich gewesen. Aber er ist weit davon entfernt, den verärgerten Touristen zu spielen, er entschließt sich vielmehr zu einer bemerkenswerten selbstkritischen Revision seiner Reiseerwartungen, und dieses Bekenntnis (im Kapitel „Ein Gang nach St. Anthony’s Chapel“) ist für die gerechte Beurteilung des gesamten Berichts überaus bedeutsam. Fontane gibt zu, daß er den „eitlen Glauben“ in sich großgezogen hatte, daß ihm „jeder monumentberechtigte Schotte“ aus Dichtung oder Geschichte wenigstens dem Namen nach bekannt sein müsse, und nun erinnern ihn die Statuen von ihm unbekannten Entdeckern und Philanthropen, Schriftstellern, Künstlern und Gelehrten aus neuester Zeit „nur allzuoft an das Irrige“ seiner Vorstellung. „Die Sache ist die, daß wir im Auslande nur die romantische Hälfte Schottlands kennen und wenig oder nichts von der Kehrseite derselben. Dichtung und Romane lesend, sind wir mit unsern Sympathien in der Vergangenheit Schottlands steckengeblieben, während die Schotten selbst nichts Ernstlicheres zu tun hatten, als mit dieser Vergangenheit zu brechen und völlig neue, völlig abweichende Berühmtheiten zu etablieren.“ Mit sichtlichem Wohlwollen hält er fest, daß die Schotten jenen alten Hochlandshaudegen, deren zweifelhafter, überlebter Ruhm sich nur an
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