Kampf and Krieg, an Rauf- und Mordlust knüpft, „die ausschließliche Denkmalsberechtigung längst genommen“ und sie den Dichtern und Denkern und den Nationalökonomen übertragen haben. (Mit polemischem Seitenblick auf Preußen und in Erinnerung an den geisttötenden Trott einer Berliner „Königswache“ drückt er zugleich freilich seine Hochachtung vor dem modernen „englischen Heerwesen“ aus, in dem keineswegs der „letzte Rest von Freiheit und Selbständigkeit aus den Individuen“ gestrichen sei.)
Fontane hat damit in aller Offenheit eine beträchtliche Einseitigkeit seiner Reportagen von „Jenseit des Tweed“ eingestanden und begründet. Er war gekommen, um die „Plätze historischer Erinnerung oder romantischen Interesses“ aufzusuchen. Dies bestimmt die Reiseroute und setzt — bei allen kritischen Randbeobachtungen und ironischen Glossen — auch die Akzente seines Buches. Das industrialisierte und kommerzialisierte Schottland nimmt er beiläufig zur Kenntnis — soweit es ihn über geschäftstüchtige Wirtinnen und überhöhte Preise berührt; darstellerisch spart er es gänzlich aus (wenn man von den Verkehrsmitteln absieht, von deren rationellem Platzangebot er ja ergötzlich zu plaudern weiß). Das soziale Interesse, das wenige Jahre zuvor sein Buch „Ein Sommer in London“ (1854) durchaus noch mitgeprägt hatte, tritt zurück. Ja, er kann sich nicht einmal überwinden, in Glasgow Station zu machen. Vor der Aussicht, Melrose-Abbey und Lochleven-Castle zu sehen, können die „dunklen Häusermassen“ und die dreihundert Fuß hohen Schornsteine dieser Industrie- und Handelsmetropole nicht bestehen. Fabriken, Eisenbahnen, Omnibusse und Dampfboote tragen, obgleich er sich ihrer täglich bedient, „einen fremd-modernen Klang in das alte Lied“, das in ihm klingt und ihn aus den Städten der Gegenwart immer wieder an die Stätten der Vergangenheit führt.
Allerdings gerät der Autor auch dabei in neue, ernüchternde Schwierigkeiten. Denn die optische Ausbeute auf den Schlachtfeldern von Flod- denfleld und Culloden-Moor ist natürlich gering. Lochleven-Castle bietet einen Trümmerhaufen, vom Macbeth-Schloß in Inverneß ist nur noch der Hügel übrig, auf dem es gestanden haben soll. Und selbst in der „nordischen Schönheitsstadt“ Edinburg sind die großen Attraktionen dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen: das Citykreuz, das Gefängnis von Tolbooth. Auch die Wohnstätte seines berühmten Balladenhelden Archibald Douglas in einer der Gassen zwischen Cowgate und High- Street ist längst abgerissen, und so bleibt Fontane nur, von all dem zu erzählen. Daraus resultiert eine weitere Besonderheit dieser „Bilder und Briefe aus Schottland“: der Besuch der Kloster- und Schloßruinen, der Blachfelder und Kastelle wird erst durch das Wissen und die lebhafte, aus geschichtlichem Detail gespeiste Phantasie des Dichters zu einem wirklichen Erlebnis. Seine souveräne Kenntnis der „landesüblichen Ermordungen“ und aller lokalen Einzelheiten verlebendigt die historische Szenerie, und so gestaltet sich die Reise durch Schottland genaugenommen zu einer Wanderung von einer Gruselgeschichte zu einem Mordfall, von einer Entführung zu einer Liebesromanze, von einem
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