Heft 
(1974) 18
Seite
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Kampf and Krieg, an Rauf- und Mordlust knüpft,die ausschließliche Denkmalsberechtigung längst genommen und sie den Dichtern und Den­kern und den Nationalökonomen übertragen haben. (Mit polemischem Seitenblick auf Preußen und in Erinnerung an den geisttötenden Trott einer BerlinerKönigswache drückt er zugleich freilich seine Hoch­achtung vor dem modernenenglischen Heerwesen aus, in dem keines­wegs derletzte Rest von Freiheit und Selbständigkeit aus den Indi­viduen gestrichen sei.)

Fontane hat damit in aller Offenheit eine beträchtliche Einseitigkeit seiner Reportagen vonJenseit des Tweed eingestanden und begründet. Er war gekommen, um diePlätze historischer Erinnerung oder romantischen Interesses aufzusuchen. Dies bestimmt die Reiseroute und setzt bei allen kritischen Randbeobachtungen und ironischen Glossen auch die Akzente seines Buches. Das industrialisierte und kommerzialisierte Schott­land nimmt er beiläufig zur Kenntnis soweit es ihn über geschäftstüch­tige Wirtinnen und überhöhte Preise berührt; darstellerisch spart er es gänzlich aus (wenn man von den Verkehrsmitteln absieht, von deren rationellem Platzangebot er ja ergötzlich zu plaudern weiß). Das soziale Interesse, das wenige Jahre zuvor sein BuchEin Sommer in London (1854) durchaus noch mitgeprägt hatte, tritt zurück. Ja, er kann sich nicht einmal überwinden, in Glasgow Station zu machen. Vor der Aussicht, Melrose-Abbey und Lochleven-Castle zu sehen, können diedunklen Häusermassen und die dreihundert Fuß hohen Schornsteine dieser In­dustrie- und Handelsmetropole nicht bestehen. Fabriken, Eisenbahnen, Omnibusse und Dampfboote tragen, obgleich er sich ihrer täglich bedient, einen fremd-modernen Klang in das alte Lied, das in ihm klingt und ihn aus den Städten der Gegenwart immer wieder an die Stätten der Vergangenheit führt.

Allerdings gerät der Autor auch dabei in neue, ernüchternde Schwierig­keiten. Denn die optische Ausbeute auf den Schlachtfeldern von Flod- denfleld und Culloden-Moor ist natürlich gering. Lochleven-Castle bietet einen Trümmerhaufen, vom Macbeth-Schloß in Inverneß ist nur noch der Hügel übrig, auf dem es gestanden haben soll. Und selbst in der nordischen Schönheitsstadt Edinburg sind die großen Attraktionen dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen: das Citykreuz, das Gefängnis von Tolbooth. Auch die Wohnstätte seines berühmten Balladenhelden Archibald Douglas in einer der Gassen zwischen Cowgate und High- Street ist längst abgerissen, und so bleibt Fontane nur, von all dem zu erzählen. Daraus resultiert eine weitere Besonderheit dieserBilder und Briefe aus Schottland: der Besuch der Kloster- und Schloßruinen, der Blachfelder und Kastelle wird erst durch das Wissen und die leb­hafte, aus geschichtlichem Detail gespeiste Phantasie des Dichters zu einem wirklichen Erlebnis. Seine souveräne Kenntnis derlandesüblichen Ermordungen und aller lokalen Einzelheiten verlebendigt die histo­rische Szenerie, und so gestaltet sich die Reise durch Schottland genau­genommen zu einer Wanderung von einer Gruselgeschichte zu einem Mordfall, von einer Entführung zu einer Liebesromanze, von einem

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