Heft 
(1974) 18
Seite
157
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dem Winterball und der Schlittenfahrt durch die kalte Nachtluft im Fieber nach Hause kommt und um Zuckerwasser bittet, antwortet seine Frau Mathilde nachdrücklich:Immer Zuckerwasser. Wer trinkt Zucker­wasser, wenn er von einem Ball nach Hause kommt! Ich werde dir eine Tasse Kaffee machen. 4 Der Lauf dieser Geschichte zeigt ganz deutlich die Gefahren, die einer Ehe zwischen zwei so andersgesinnten Menschen drohen. Denn indem die Heldin ihren Mann immer vorwärts treibt, macht sie sich, mittelbar wenigstens, seines Todes schuldig. Sollte man vielleicht daraus schließen, daß eine Ehe zwischen Leopold Treibei und Corinna Schmidt ein ähnliches, unglückliches Los erfahren hätte? In Wirklichkeit ist das eine eitle Frage. Der Charakter Jennys bildet für eine solche Ehe ein unüberwindliches Hindernis, oder ein Hindernis, womit wenigstens Leopold nie fertig würde. Und das bringt uns wieder auf jene kleine Episode in Treptow zurück. Enthält doch diese eine Erweiterung des Milchgedankens, die uns erlaubt, das Mißlingen eines Liebeshandels zwischen Leopold und Corinna vorauszusehen. Als Leopold die Milch sein eigentliches Getränk nennt, fügt er hinzu:Milch der frommen Denkungsart würde Papa sagen (S. 118). 5 Obwohl ungewiß bleibt, was er oder gar sein Vater darunter versteht, deutet jedoch der unmittelbare Zusammenhang, der Bevormundung und Kontrolle erwähnt, darauf hin, daß er im Sinne einer frommen Ergebung in den Willen der anderen Familienmitglieder spricht. Das Zitat aber rührt, wenigstens mittelbar, von Shakespeares Macbeth her, und wenn auch Leopold und sein Vater die Quelle nicht kennen, so darf man doch annehmen, daß sie Fontane selbst gegenwärtig war. Als Theaterkritiker hatte er Auffüh­rungen von Macbeth im November 1875 und im Dezember 1879 rezensiert; 1885 hatte er mit vielem Vergnügen Professor Karl Werders Vorlesungen über Shakespeares Macbeth gelesen; 6 und zwischen 1887 und 1889, einer Umfrage des Verlegers Friedrich Pfeilstücker folgend, hatte er eine Liste derjenigen Werke verfertigt, die ihn besonders beeinflußt oder ihm die größte Freude bereitet hatten, darunter natürlich Shakespeare,vor allem Macbeth und Hamlet. 7 Wenn also, wie zu vermuten ist, Fontane den ursprünglichen Zusammenhang jener Worte gekannt hat, tut man viel­leicht gut, an die betreffende Rede zu erinnern, besonders deshalb, weil sie einen bedeutungsvollen Bezug auf die Lage Leopolds hat. Lady Macbeth spricht hier mit ihrem Mann:

Glamis thou art, and Cawdor; and shalt be What thou art promisd. Yet do I fear thy nature:

It is too full o the milk of human kindness,

To catch the nearest way. Thou wouldst be great;

Art not without ambition, but without

The illness should attend: what thou wouldst highly,

That wouldst thou holily; wouldst no play false,

And yet woudlst wrongly win;.. , 8

Macbeth wird also vorgeworfen, er habe zu viel Milde, zu viele Skrupel, um sein Ziel zu erreichen. Wenn nun Leopold praktisch dieselben Eigen­schaften in dem eigenen Charakter zugibt, so darf der Leser kaum