Heft 
(1974) 18
Seite
158
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erwarten, daß er den folgenden Kampf mit der Mutter gewinnen und Corinna heimführen wird.

In einer frühem Szene hat Professor Schmidt von seinem Neffen Marcell als Banquo gesprochen ein weiteres Zeichen übrigens, daß Macbeth nicht weit von Fontanes Gedanken war, als er Frau Jenny Treibei schrieb, aber Leopold ist viel zu schwach, um selbst dieses Gespenst zu bannen, geschweige denn, das größte Hindernis in seinem Wege unschädlich zu machen.

Es ist zu merken, daß Fontane mit großer Sorgfalt sein Material so organisiert hat, daß der Leser in der Tat die Episode mit der Milch auf die Liebesintrige des Romans, wie oben angedeutet, bezieht. Die zur Szene in Treptow überleitende Erzählpartie verbindet das Folgende ganz deutlich mit Leopolds Verliebtheit in Corinna:

Wenn ihn dies Imsattelsein ohnehin schon an jedem Morgen erfreute, so besonders heut, wo die Vorgänge des voraufgegangenen Abends, am meisten aber die zwischen Mr. Nelson und Corinna geführten Gespräche, noch stark in ihm nachwirkten... (S. 113)

Und die Szene selbst schließt mit dem Versuch Leopolds, sich für den bevorstehenden Kampf um die Hand Corinnas Mut einzuhauchen. In solcher Umrahmung muß seine Willfährigkeit, als er die Milch trinkt und auf die zweite Tasse Kaffee verzichtet, einen Schatten werfen auf ein Liebesverhältnis, das ironischerweise noch kaum in Gang gesetzt worden ist. Eine anscheinend unbedeutende Entscheidung über Getränke faßt also nicht nur die Charakterisierung der Hauptfigur und ihres jüngeren Sohnes und weiter die Beziehungen beider zueinander sym­bolisch zusammen, sondern nimmt auch den Ausgang der Verlobung vorweg, die den Mittelpunkt der Romanhandlung bildet. (Denn trotz der Behauptungen einiger Interpreten 9 ist Frau Jenny Treibei nicht ohne Handlung.) Wie Leopold anfangs den eigenen Willen durchsetzt, indem er den ersten Kaffee nimmt, um sich nachher in den Erlaß der Mutter zu ergeben und das große Glas Milch zu trinken, so wird er zwar anfangs Corinnas Verlobter man bedenke in diesem Zusammenhang, daß er in Treptow von seinerKaffeepossion spricht, um später dann die von der Mutter bestimmte Braut, Hildegard Munk, zu akzeptieren. Am Ende ist Leopold Treibei kein shakespearischer Macbeth. Er ist nicht einmal bei den besten Absichten ein Goethischer Hermann:

Leopold saß auf seinem Zimmer und las Goethe (was, ist nicht

nötig, zu verraten). (S. 199)

Im günstigsten Falle ist er, wie der Titel dieses Beitrages andeuten will, ein bürgerlicher Hamlet in Taschenausgabe, ein Mensch, von dem also um mit Wilhelm Meister zu sprechenDas Unmögliche... gefordert [wird], nicht das Unmögliche an sich, sondern das, was ihm unmöglich ist. 10