Heft 
(1975) 22
Seite
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Wicklung forderte offensichtlich den leidenschaftlich engagierten, beses­senen Fachkritiker, der die ästhetische Substanz der Theaterkritik, besonders bei der Regie- und Schauspielerkritik, entscheidend vertiefte, was Siegfried Jacobsohn, Julius Bab, Alfred Polger und vor allem Herbert Ihering, als Mitarbeiter der von Jacobsohn herausgegebenen Schaubühne, rechtzeitig erkannten . 18 Ihering hat in den zwanziger Jahren die fachliche Durchdringung der Kritik, bei Einlagerung des einzelnen Theaterereignisses in theater- und kulturpolitische Zusammen­hänge, am weitesten getrieben ; 19 er war aber zu sehr Bürger und Bestandteil des' bürgerlichen Pressewesens, um seine Kritik mehr als ansatz- und andeutungsweise in den Dienst der neuen gesellschaftlichen Kräfte zu'stellen. So vermißte Brecht bei ihm trotz seines Bemühens um eine nicht-impressionistische objektive Terminologie, das ihm seitens Kerrs und seines nicht unerheblichen Anhangs den Vorwurf desKate- gorinskys 20 eintrug, die konsequente theoretische Fundierung.

Kerr betrachtete Drama und Theater alsLebenssache, als Lebensaus­druck, Ihering maß Theater und Drama nur sehr vermittelt an der Wirklichkeit; aber dank seines dynamischen, dialektischen Kunstbegriffes wurde er der Kunstentwicklung und damit bis zu gewissem Grade auch der Gesellschaftsentwicklung eher gerecht als der auf einen statischen Daseins- und Kunstbegriff fixierte Alfred Kerr. Das dialektische Prinzip, wenn auch vorwiegend objektiv idealistisch auf die Kunstent­wicklung konzentriert, erwies sich als fruchtbarer denn unhistorisches Weltgefühl. Damit hat auch Herbert Ihering Fontane nur zum Teil, in widersprüchlicher Weise, weitergeführt.

Die umfassende ästhetische und ideologische Weiterführung setzt die dialektisch-materialistische sozialistische Position voraus. Sie ist in der Theaterkritik zum Beispiel bei Paul Rilla und Emst Schumacher gegeben, die in ihren Kritiken Richtigkeit und Eleganz, ideologische Präzision mit hoher ästhetischer Substanz (in Inhalt und Form der Kritik) verbinden.

In der Nachfolge Fontanes kommt es zu starker Polarisierung in der bürgerlichen Theaterkritik. Hermann Bahr und Alfred Kerr impressio- nieren die Kritik. Die impressionistische Seite war bei Fontane bereits vorhanden, aber als notwendige Voraussetzung bzw. als Teilelement in die Kritik integriert, nicht verabsolutiert. Jacobsohn und Ihering führten die argumentierende Seite weiter, aber stärker ästhetisch bezogen als bei Fontane und dementsprechend nicht ohne Anschauung und Anschaulich­keit. Erst auf dialektisch-materialistischer Basis gelingt dann bei Rilla und Schumacher die Verbindung von Lebens- und Kunstinteressen, die echte dialektische Aufhebung Fontanes.

Nachdem die Beziehung zwischen den Theaterkritikern' Alfred Kerr und Theodor Fontane genetisch und typologisch betrachtet und dessen weitere Nachfolge in der deutschen Theaterkritik skizizert worden ist, sei jetzt zu Alfred Kerr und seinem Verhältnis zu Theodor Fontane zurückgekehrt. Joseph Chapiro charakterisiert Kerrs Fühl- und Denkweise so:... Er

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