rechnung mit der bourgeoisen Berliner „Nora“-Kritik in Absatz V des Essays.
Allein das bedingungslose Eintreten für „Nora“ als Stück und Gestalt und für die „Moral“ der „Gespenster“ kündigt möglicherweise Kerrs spätere Tendenz zum radikalen bürgerlichen Individualismus an, zur verantwortungslosen „Ungebundenheit“, während Fontane nach dem Wort Thomas Manns 25 von „verantwortungsvolle(r) Ungebundenheit“ war. So soll Kerr später zugunsten des chauvinistisch verleumdeten Fritz Kortner nicht politisch argumentiert haben, sondern unter Berufung auf das angebliche Recht des Künstlers auf „sexuelles Piraten tum“ , ai Der Nietzscheanismus und die Lebensphilosophie bestimmen eben weitgehend die Differenz zwischen Kerr und Fontane.
Auch aus Anlaß Arthur Schnitzlers kommt Kerr auf Fontane zu sprechen. In der Kembelichtung des Wiener, von Emst Mach und Siegmund Freud beeinflußten kritisch-realistischen Dramatikers, der ihm nächst Gerhart Hauptmann der symphatischste Repräsentant des neuen Dramas ist, sucht er bei der Charakteristik von „Liebelei“ nach mit Christine vergleichbaren Gestalten und kommt wieder auf Fontane zurück: „Diese lautlos hingegebene Gestalt, die innig und zurückhaltend, glücklos und selig und in jeder leisesten Regung Mädchen ist: sie stammt aus dem Gefild, auf dem die herbere Schönheit früher und liebster Goethescher Mädchen wuchs. Wen soll man neben ihr nennen? Fontanes Lene. Die weiblichen Gestalten moderner Dichter sind, gegen Christine, fast alle reflektiert und mittelbar.“ 27
Man muß Kerr zustimmen, wenn er anläßlich Christines an die figürliche Naturhaftigkeit und an die menschlich-charakterliche Natürlichkeit Lene Nimptschs und (1896 noch!) mehr an das Goethesche Erbe denn an blasse neuromantische Gestalten denkt. „Irrungen Wirrungen“ und besonders Lene werden ihm darüber hinaus zum richtig gehandhabten literarischen Maßstaib, wenn er weiter Christine nicht konsequent durchgeführt und außerdem das Drama von einem „Uberschuß an Sentimentalität“ und einem „Zug“ zur literarischen „Konvention“ 28 bedroht sieht, überhaupt scheint ihm „Irrungen Wirrungen“ vom relativ lebensähnlichen Abbild wie vom schicksalshaften, ergreifenden Charakter des Romans her das wichtigste und bedeutendste Erzählwerk Fontanes gewesen zu sein, das er mit Recht als Korrektur der „Gespenster“-Kritik empfand.
Während die bisher angeführten Bezugnahmen auf Fontane im ersten Band der „Welt im Drama“ sachlichen Charakter tragen und Fontane kritisch bzw. als Maßstab gerecht werden, ist die Anspielung auf Fontane in der Rezension über den „Roten Hahn“ unsachlich, feuille- tonistisch im negativen Sinne. So genau beobachtend und gedankenreich diese Kritik auch sonst ist, so ungerechtfertigt ist der Seitenhieb gegen Fontane anläßlich des Lobes der differenzierten Milieu- und Menschendarstellung in der „Tragikomödie“: „Hauptmann malt hier Märker, wie
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