des naturalistischen Literaturtheaters allerdings vorwiegend literarisch-dramaturgisch orientiert. Beispielhaft sind dafür der auf dem Höhepunkt der naturalistischen Bewegung geschriebene Aufsatz „Technik des realistischen Dramas** (1891), die Gedenkrede für Ibsen aus dem Jahre 1898 und der Essay über den Sieg Ibsens auf der deutschen Bühne über die Epigonen („Der Ahnherr“, 1896). Besonders in dem in der „Vossischen Zeitung“ auf dem Höhepunkt der naturalistischen Bewegung veröffentlichten Aufsatz über das „neurealistische Drama“ ist Kerr in der Darlegung und Erklärung naturalistischer Dramentechniken und in der Erörterung von ästhetischen Problemen der naturalistischen Methode Fontane an Differenziertheit und Genauigkeit der Analyse und in der sprachlichen Konzentriertheit überlegen. Hier spricht Kerr auch noch von den „kulturgeschichtlichen Verhältnissen, die -das moderne Drama vorführt“ („Die Welt im Drama“, I, 433). Hier ist das Drama noch nicht auf Seelenhaftigkeit reduziert. Auch die Beziehung zu Gotthold Ephraim Lessing ist noch relativ .objektiv, obgleich der Verfasser der „Hamburgischen Dramaturgie“ in apologetischer Verfälschung bereits zu stark für das naturalistische Drama beansprucht wird. So wird Lessings Forderung nach dem Typischen als Ruf nach Darstellung der „Durchschnittlichkeit des Lebens“ (a. a. O., S. 437) interpretiert.
13 Vgl. dazu Theodor Lessings „Brief an einen Schauspieler“ in der „Schaubühne“ vom 1. 2. 1912.
19 So schreibt Fritz Kortner in seiner Autobiographie „Aller Tage Abend“. München 1959, S. 388, über Herbert Iherings Wirkung auf die Theaterschaffenden: „Man las ihn wie eine Grammatik und lernte daraus“.
20 Vgl. dazu im von Joseph Chapiro hrsg. Band „Für Alfred Kerr. Ein Buch der Freundschaft“ die Beiträge von Max Herrmann-Neiße (S. 114 f.) und Kurt Hiller (S. 116, 121).
21 Chapiro, S. 23 f.
22 Auch bei Hugo von Hofmannsthal und Marcel Proust ist angesichts der imperialistischen Entwicklung die liberale Tendenz zur Erinnerung und Beschwörung des Vergangenen ausgeprägt. Bei Hofmannsthal dominiert jedoch die Vergangenheitsebene, weshalb Kerr seiner Dichtung den unmittelbaren Lebensbezug absprach und sie als höheres Kunstgewerbe abwertete, während er selber das ihm teuere Vergangene in seine Gegenwart, die „Welt im Drama“ und „Die Welt im Licht“, hineinzunehmen suchte. Als widerspruchsvolle Ubergangsgestalt zwischen liberaler und imperialistischer Phase der Bourgeoisie, zwischen Naturalismus, Impressionismus und Modernismus vermochte er im Unterschied zu rein imperialistischen Ideologen und „reinen“ Modernisten Vergangenes noch nicht ganz abzuschütteln. Audi bei Marcel Proust spielen „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ Erinnerung und Heraufbeschwörung des Vergangenen eine entscheidende Rolle. Doch als romanhafter, französischer Realismus-Tradition verpflichteter Gestalter gelangte er dabei doch zu einer gewissen objektiven Historizität.
23 Alfred Kerr: „New York und London“, Berlin 1923, Prolog, Abschnitt XI.
24 „Die Welt im Drama“, I, 64.
25 Thomas Mann in „Der alte Fontane“ in „Adel des Geistes“, Berlin 1956, S. 494.
26 „Aller Tage Abend“, S. 411.
27 „Die Welt im Drama“, I, 125.
28 „Die Welt im Drama“, I, S. 126.
28a „Die Welt im Drama“, I, S. 94.
29 „Die Welt im Drama“, IV, 44.
30 „Die Welt im Drama“, I, 211.
31 Indirekt scheint die Abkehr von Fontane nach 1900 durch das kritisch-paro- distische Verhältnis Kerrs zu Thomas Mann bestätigt, der durch die Intellektualisierung der Causerie sich als „bewußtester Erbe Fontanescher Erzählkunst“ (Günter Jäckel, in Fontane-Blätter, II, 2, 1970, S. 94) erwies. Kerr kritisierte an Thomas Mann die Bewußtheit der künstlerischen Arbeit und die epische Breite. Er entsprach nicht seinem irrationalen Genie-Begriff. Thomas Mann seinerseits sah sich durch Kerrs Deklarierung der Kritik zur vierten Dichtgattung im poetischen Charakter seiner kritischen Prosa bestätigt.
32 „Die Welt im Drama“, III, S. 226.
33 Tilla Durieux: „Eine Tür steht offen“, Berlin 1965, S. 75.
34 Während Fontane im Alter immer systemfremder wurde, wurde Kerr nach 1900 in zunehmendem Maße systemkonform. So versuchte er 1911 in der Zeitschrift „Pan“ (in Nr. 21 vom 1. 9. 1911) die Sozialdemokratie in die imperialistische deutsche Koloialpolitik einzuspannen. Er appellierte damals an die
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