Partei Bebels, das Prinzip der „sozial gerechten Verteilung“ (a. a. o., S. 679) auf den Kolonialbesitz auszudehnen und damit die Kolonialpolitik des aggressiven deutschen Imperialismus zu stützen, ja aus der relativen deutschen Verspätung ihr gewisse „Sonderrechte“ abzuleiten. Dabei fügte er allerdings liberal moralisierend hinzu: „Vorausgesetzt: daß Kolonien ein Gut sind“
(ebenda, S. 679). Fontane dagegen hatte am 16. 10. 1897 im Brief an James Morris „die ganze Kolonisationspolitik“ als „Blödsinn“ verurteilt.
Die unterschiedliche Systemverwurzelung beider Schriftsteller spiegelt sich deutlich in ihrer ungleichen finanziellen Situation. Während Fontane materiell nie besonders gut gestellt war, bekannte Kerr in seinem „Lebenslauf“: „Ich hatte schließlich (nach wirtschaftlich komischen Anfängen) meist mehr flüssiges Geld, als ich verbrauchen konnte...“ (Chapiro, S. 181). Seine charmante daseinsverliebte Ahistorizität ist ihm von der liberalisierenden Bourgeoisie, vor allem von der Leserschaft des „Berliner Tageblattes“, lange Zeit gebührend honoriert worden. In der Emigration litt Kerr jedoch nicht nur unter der „Abgespaltenheit vom lebendigen Strom der Muttersprache“ (Lion Feuchtwanger), sondern auch unter finanziellen Schwierigkeiten. Dies führte aber nicht mehr zu grundsätzlichen antibürgerlichen Konsequenzen.
35 Herbert Ihering: „Von Reinhardt bis Brecht“. Vier Jahrzehnte Theater und Film. H. 1924-1929, Berlin 1959, S. 72 f.
36 Arnold Zweig: „Alfred Kerr achtzig Jahre.“ 1947 in: A. Zweig: „Über Schriftsteller“, Berlin & Weimar 1967, S. 167.
F,. M. Volkov (Ivanovo, UdSSR)
Fontane in der russischen und sowjetischen Kritik
Übersetzt von Christa Schultze
I
Die erste Erwähnung Fontanes in einer russischen Zeitschrift findet sich bereits im März 1849 im „Moskvitjanin“ (Der Moskauer), wo Wilhelm Wolfsohn in einer aus Leipzig eingesandten Korrespondenz seinen Freund „einen jungen Mann mit großen Talenten und übrigens einen ausgezeichneten Poeten“ nannte. 1 Fünf Jahre später schrieb der Übersetzer August Viedert in einem Korrespondenzbericht vom 1. Juni 1854 in den „Moskov- skie vedomosti“ (Moskauer Nachrichten) über Fontane: „Mein liebenswürdiger Gastgeber ruft mich zum Kaffee. Ich wohne bei dem jungen Literaten Theodor Fontane, der in Deutschland durch das Gedicht ,Von der schönen Rosamunde“ bekannt geworden ist, ferner durch die Herausgabe eines belletristischen Almanachs ,Argo‘ und anderer Veröffentlichungen. In Kürze wird sein Buch über England herauskommen, das aus Briefen und Aufsätzen besteht, von denen viele schon in Periodika erschienen sind. Vor zwei Monaten ... las ich in der in Dessau herauskommenden Zeitschrift ,Atlantis“ einen der anziehendsten Londoner Briefe. Ich habe jetzt erst erfahren, daß dieser Brief von Theodor Fontane geschrieben wurde.“ 2
Vierzig Jahre vergingen, bis die erste russischsprachige ausschließlich Fontane gewidmete Abhandlung eines unbekannten Verfassers 1894 in der Zeitschrift „Sem’ja“ (Die Familie“) erschien. Voller Wärme wird hier über den alten Dichter berichtet, über den die Jahre keine Macht, besitzen. Biographische Daten aus Fontanes Leben werden angeführt
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