Heft 
(1975) 22
Seite
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und der realistische Charakter seines Schaffens hervorgehoben. Uber L'Adultera wird gesagt, daß es sichum einen realistischen Roman im vollen Sinne des Wortes 3 handele. Die Aktualität der Problematik vonIrrungen-Wirrungen wird unterstrichen. Der unbekannte Ver­fasser verteidigt Fontane vor den Angriffen der offiziellen deutschen Kritik, die diesen Roman fürunmoralisch erklärt hatte. Der besondere Wert des Buches wird in der Wirklichkeitstreue der scharf gezeichneten Bilder aus dem Großstadtleben gesehen:Das Werk trifft den Nagel auf den Kopf. Fontanes Bücher über den französisch-preußischen Krieg streifend, stellt der Verfasser fest, daß dem Dichter jeglicher Chauvinis­mus abgehe. Am meisten wird jedoch und das ist sicher durch die spezifische Thematik der Zeitschrift bedingt das BuchMeine Kinder­jahre gewürdigt, von-dem es heißt, es seivielleicht das Beste, was Fontane geschrieben hat/ 1 Fontanes ausgezeichnete Herausarbeitung der geistigen und seelischen Haltung' eines Heranwachsenden und seine Skizzen aus dem Leben einer deutschen Provinzstadt beeindruckten den Verfasser; er schrieb:Fontanes Farben sind kräftig wie in frühe­ren Jahren, die Konturen kühn und abgerundet, die Gedanken originell, die Sprache kraftvoll und expressiv. Ein wichtiger Grund für diese positive Beurteilung war das in Rußland so außerordentlich beliebte Genre vonMeine Kinderjahre, handelte es sich doch um ein Buch über die eigene Jugend; dafür hatten Lev Tolstoj und S. Aksakov klas­sische Vorbilder gegeben.

In der Novembemummer der ZeitschriftVestnik inostrannoj literatury (Der Bote für die Literatur des Auslands) erschien 1898 von einem unbekannten Verfasser ein Nekrolog auf Fontane, in dem es hieß, daß der Dichter sich bis ans Ende seiner TageLebensfreude und geistige Regsamkeit bewahrt habe. 5 Fontanes Lebens- und Schaffensweg wird dargelegt; als hervorstechendster Zug seines Gesamtwerkes wird sein Humanismus bezeichnet:er liebte die Menschen und verstand es, das Poetische im alltäglichen Leben zu erkennen und dies seinen Zeit­genossen voller Wärme vorzuführen. 6 An denWanderungen durch die Mark Brandenburg werden die ethnographische Genauigkeit und der Reichtum an historischem Wissen hervor gehoben. Das allzu Ausgedehnte und Fragmentarische des RomansVor dem Sturm wird gestreift, doch vermochte der Autor des Nekrologs die Bedeutung dieses ersten Romans für die weitere Entwicklung des Schriftstellers richtig einzu­ordnen :... in diesem fruchtbaren Schlamm liegen die Keime seiner späteren Entwicklung. 7LAdultera,Cecile undEffi Briest werden unterschätzt, da die Problematik dieser Romane nur im Ehebruchsthema gesehen wird. Eine versöhnende Tendenz wird festgestellt, so daß es zum Schluß heißt, Fontane sei eintrostbringender Poet, dereinen wichtigen Platz in der pessimistischen Literatur zu Ende des Jahr­hunderts einnimmt, eine Schlußfolgerung, mit der man gewiß nicht einverstanden sein kann.

Auch hier werden Fontanes demokratische Anschauungen und seine Ablehnung jeglichen Chauvinismus hervorgehoben. Der Autor weist

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