auf des Dichters große Kenntnisse in Geschichte, Ethnographie und Literatur hin („einer der kompetentesten Kenner des englischen Lebens und der englischen Literatur“) und behandelt ferner seine Bedeutung als Literatur- und Theaterkritiker, der sich jungen Talenten gegenüber immer wohlwollend verhalten habe. Dabei wird Fontanes Förderung des jungen Gerhart Hauptmann und der naturalistischen Schule ins Blickfeld gerückt.
Die Rede ist auch von der Einfachheit der Schaffensmethode Fontanes, von den alltäglichen, gewöhnlichen Ereignissen, die sich in seinen Romanen vollziehen: „... seine Menschen leben ein einfaches und
natürliches Leben“. Die Meisterschaft in der psychologischen Charakteristik und das tiefe Eindringen in die innere Welt der Helden werden gelobt. „Fontane idealisiert seine Helden niemals, er vermag sie als Menschen verständlich zu machen.“ 8
Auch auf die Bedeutung des Briefnachlasses von Fontane wird aufmerksam gemacht, und das zu einer Zeit, da viele deutsche Kritiker des 20. Jahrhunderts diesen nicht unwesentlichen Teil des literarischen Erbes Fontanes noch außer acht ließen.
Im Jahre 1900 erschien in Nr. 5 des „Vestnik Evropy“ (Der europäische Bote) unter „Chronik. Neuigkeiten aus der Literatur des Auslands“ eine Rezension des Buches von Theodore de Wyzewa „Ecrivains etrangers“. das 1900 in Paris erschienen war. Die Verfasserin Z. A. Vengerova polemisiert hier gegen Wyzewas Beurteilung Fontanes. Sein Hauptverdienst bestehe darin, daß dieser Meister des Romans unter den Bedingungen des Naturalismus und der Dekadence ein „konsequenter Realist“ geblieben ist. 9 Die Bedeutung dieses Zeugen der Umwandlung Berlins in eines der größten Zentren Europas sei, daß er „den ,Berliner Roman' geschaffen hat, ähnlich wie sich in Frankreich die realistische Schule vor allem im Roman über die Pariser Sitten verkörperte.“
Doch obwohl Vengerova die Rolle und Bedeutung Fontanes innerhalb der deutschen Literatur richtig zu würdigen weiß, unterlaufen ihr doch einige Ungenauigkeiten: z. B. vermag sie keine hervorstechenden Tendenzen in seinem Romanschaffen zu sehen; sie meint, Fontane sei nur „ein aufmerksamer Sittenschilderer“ gewesen. Von Interesse ist die Beurteilung der einzelnen Werke. Sie werden in zwei Gruppen eingeteilt; zur ersten zählen „Grete Minde“, „Unterm Birnbaum“ und „Ellernldipp“. Vengerova fällt die romantische Färbung dieser Erzählungen auf, die durch das dramatische Sujet bedingt seien. Eine eingehendere Würdigung erfahren „die psychologischen Romane aus der Gegenwart“, nämlich „L’Adultera“, „Irrungen - Wirrungen“, „Frau Jenny Treibei“, „Unwiederbringlich“, „Effi Briest“ und „Der Stechlin“. Vengerova ist hinsichtlich der Prinzipien, die für den Dichter bei der Auswahl aus dem vom Leben gebotenen Material maßgebend waren, der Ansicht, daß Fontane — und darin liege eine Besonderheit seines Talents — „alles Typische und Charakteristische“ liebt“, daß er „ein Feind jeglicher Idealisierung, jeglicher Übereinkunft“ sei. 10
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