Hervorgehoben werden der Esprit der Dialoge und die Aktualität der Probleme wie Politik und Standesehre. Den oft erhobenen Vorwurf, die Handlung der Romane Fontanes sei schwach, weist Vengerova zurück. Während Wyzewa und auch andere Literaturkritiker in der eingeschränkten Handlung einen Mangel an künstlerischer Meisterschaft erblickten, nennt Vengerova dies eine Besonderheit, die daraus resultiere, daß Fontane seine Hauptaufgabe in einer detaillierten Analyse seiner Helden und in der minutiösen Beschreibung von Einzelheiten gesehen habe.
1899 wurden, nachdem 1891 schon „Unwiederbringlich“ in einer russischen Zeitschrift erschienen war, 10a die russischen Leser mit zwei Romanen Fontanes bekanntgemacht; „Effi Briest“ erschien in der ( Übersetzung von An. und Al. Reinholdt und „Frau Jenny Treibei“ in der Übersetzung von N. Korelina. 11 Dem letztgenannten Roman war ein Vorwort aus der Feder M. S. Korelins mit biographischen Einzelheiten über Fontane vorausgeschickt, in dem auch der Versuch unternommen wurde, eine Vorstellung von der Weltanschauung des Dichters zu geben. Die Widersprüchlichkeit seiner politischen Ansichten wurde richtig erkannt, die Vielseitigkeit seines Schaffens — als Romancier, Kritiker und Journalist — wurde vermerkt. Korelin ist der Meinung, daß „die Erscheinungen des Lebens in ihm niemals Enthusiasmus und Entzücken hervorrufen, sondern meistens Ironie, eine Mischung von Lachen und Mitgefühl.“ Fontanes „größte und charakteristische Werke, deren Handlung zu seiner Zeit spielt“, seien „Effi Briest“ und „Frau Jenny Treibei“. In ihnen zeige sich Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit der dargestellten Wirklichkeit und Meisterschaft der psychologischen Enthüllung. Besonders bemerkenswert sei der Umstand, daß der Dichter „... seine ausschließliche Aufmerksamkeit nicht nur äußerlicher Verkommenheit zuwendet, und die Wirklichkeit nicht protokollhaft aufzeichnet, sondern daraus künstlerische Gestalten zu formen weiß.“
In den neunziger Jahren zählten viele deutsche Kritiker Fontane zu den Naturalisten, — ja, einige Vertreter der „neuen Schule“ nannten ihn „einen der ihren“. In dieser Hinsicht war die russische Kritik einheitlicher, da sie Fontane für einen konsequenten Verfechter realistischer Prinzipien hielt. So schrieb Korelin in der Einleitung zu „Frau Jenny Treibei“: „ ... obwohl er sich eng an die Wirklichkeit hielt, war Fontane von einem Naturalismus im französischen Sinne weit entfernt“. Hinsichtlich Fontanes Verhältnis zu seinen Helden und den von ihm beschriebenen Ereignissen meint der Verfasser des Vorworts: „...bei ihm ist weder Pathos, noch pessimistische Lyrik anzutreffen, aber ein enges Verhältnis des Autors zu dem von ihm Dargestellten ist immer zu spüren, und der Grundton dieses Verhältnisses — ist Ironie.“ 13
In der deutschen Kritik gab Fontanes letzter Roman „Der Stechlin“ manchen Anlaß zu unterschiedlichem Urteil. Man glaubte sogar, dieses Werk trage den Stempel des Verfalls. Die russische Kritik dagegen erkannte die Bedeutung des „Stechlins“ sehr gut; so ist Korelin der
419