Heft 
(1975) 22
Seite
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Meinung, daßin diesem letzten Werk auch nicht die geringste Alters­schwäche zu bemerken ist 14 Vengerova nennt als Besonderheiten dieses Romans den Reichtum an Dialogen und den gelungenen Versuch, dem Leser eine Vorstellung von der Weltanschauung der verschiedenen Klas­sen der deutschen Gesellschaft zu Ende des 19. Jahrhunderts zu ver­mitteln; sie schreibt: ... der Roman stellt ... eine lebendig geschriebene Chronik mit künstlerischen, äußerst lebendigen Charakteren und Typen dar. 15

An Fontanes journalistischer Tätigkeit fallen Korelin Aufrichtigkeit und Objektivität auf; aber auch der wichtige Umstand wird erwähnt, daß diese Seite seines Schaffens eine gute Schule für das schriftstelle­rische Handwerk bedeutet habe. Fontanes in der Presse erschienene Artikel reichen so meint er über den Rahmen einer gewöhnlichen Chronik hinaus: ... seine Reiseskizzen über England und das englische Leben sind von weit größerer Bedeutung als gewöhnlich Zeitungskorre­spondenzen zu sein pflegen. 16

Eine positive Würdigung erfahren auchDie Wanderungen durch die Mark Brandenburg ; hier trete Fontanes Meisterschaft als Skizzenzeichner am geschlossensten in Erscheinung. Fontanes Objektivität habe ihm verboten, die negativen Seiten und Sitten Brandenburgs zu verschweigen. Korelin streift ferner Fontanes ausgesprochenes Interesse für die Ge­schichte, seine Begeisterung für Thomas Percy und Walter Scott. Im Hinblick auf Fontanes Prinzipien bei der Behandlung historischen Mate­rials weist Korelin auf ein sehr wichtiges Moment hin: der deutsche Schriftsteller ... hat sich davor gehütet, in die Vergangenheit Gefühle und Begriffe der Gegenwart hineinzu tragen. 17

1916 erschien in Moskau das Buch des bekannten russischen Kritikers und Kunsthistorikers V. FriceDer deutsche Imperialismus in der Lite­ratur. Der Autor des Buches spricht Fontane von jedem Militarismus oder Chauvinismus frei und bemerkt, daß sogar in Werken wieKriegs­gefangen undAus den Tagen der Okkupation ein erfolgreiches Bemühen um Objektivität und Gerechtigkeit zu erkennen sei. 18 Achtungs­voll werde über die Tapferkeit der französischen Soldaten gesprochen und der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß an der Niederlage ihres Landes nicht zuletzt die auf der Macht des Geldes basierenden gesell­schaftlichen Verhältnisse in Frankreich schuld seien. Friüe kommt zu dem Schluß, Fontane habe in dem preußischen Junkertum ein Ideal gesucht, weil er in ihm gern eine Kraft gesehen hätte, die der von ihm verachteten Klasse der Bourgeoisie gegenüberstünde.

II

In der russisch-sowjetischen Literaturforschung wird Fontanes Rolle in der Geschichte der deutschen Literatur vielfach gewürdigt. In den Lehr­büchern für die Geschichte der Literatur des Auslands des 19. Jahr­hunderts 19 , in Nachschlagewerken und in Enzyklopädien befinden sich seinem Schaffen gewidmete Artikel. 1960 wurde sein bester Roman

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