Meinung, daß „in diesem letzten Werk auch nicht die geringste Altersschwäche zu bemerken ist“ 14 Vengerova nennt als Besonderheiten dieses Romans den Reichtum an Dialogen und den gelungenen Versuch, dem Leser eine Vorstellung von der Weltanschauung der verschiedenen Klassen der deutschen Gesellschaft zu Ende des 19. Jahrhunderts zu vermitteln; sie schreibt: „ ... der Roman stellt ... eine lebendig geschriebene Chronik mit künstlerischen, äußerst lebendigen Charakteren und Typen dar.“ 15
An Fontanes journalistischer Tätigkeit fallen Korelin Aufrichtigkeit und Objektivität auf; aber auch der wichtige Umstand wird erwähnt, daß diese Seite seines Schaffens eine gute Schule für das schriftstellerische Handwerk bedeutet habe. Fontanes in der Presse erschienene Artikel reichen — so meint er — über den Rahmen einer gewöhnlichen Chronik hinaus: „ ... seine Reiseskizzen über England und das englische Leben sind von weit größerer Bedeutung als gewöhnlich Zeitungskorrespondenzen zu sein pflegen.“ 16
Eine positive Würdigung erfahren auch „Die Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ; hier trete Fontanes Meisterschaft als Skizzenzeichner am geschlossensten in Erscheinung. Fontanes Objektivität habe ihm verboten, die negativen Seiten und Sitten Brandenburgs zu verschweigen. Korelin streift ferner Fontanes ausgesprochenes Interesse für die Geschichte, seine Begeisterung für Thomas Percy und Walter Scott. Im Hinblick auf Fontanes Prinzipien bei der Behandlung historischen Materials weist Korelin auf ein sehr wichtiges Moment hin: der deutsche Schriftsteller „ ... hat sich davor gehütet, in die Vergangenheit Gefühle und Begriffe der Gegenwart hineinzu tragen.“ 17
1916 erschien in Moskau das Buch des bekannten russischen Kritikers und Kunsthistorikers V. Frice „Der deutsche Imperialismus in der Literatur“. Der Autor des Buches spricht Fontane von jedem Militarismus oder Chauvinismus frei und bemerkt, daß sogar in Werken wie „Kriegsgefangen“ und „Aus den Tagen der Okkupation“ ein erfolgreiches Bemühen um Objektivität und Gerechtigkeit zu erkennen sei. 18 Achtungsvoll werde über die Tapferkeit der französischen Soldaten gesprochen und der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß an der Niederlage ihres Landes nicht zuletzt die auf der Macht des Geldes basierenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frankreich schuld seien. Friüe kommt zu dem Schluß, Fontane habe in dem preußischen Junkertum ein Ideal gesucht, weil er in ihm gern eine Kraft gesehen hätte, die der von ihm verachteten Klasse — der Bourgeoisie — gegenüberstünde.
II
In der russisch-sowjetischen Literaturforschung wird Fontanes Rolle in der Geschichte der deutschen Literatur vielfach gewürdigt. In den Lehrbüchern für die Geschichte der Literatur des Auslands des 19. Jahrhunderts 19 , in Nachschlagewerken und in Enzyklopädien befinden sich seinem Schaffen gewidmete Artikel. 1960 wurde sein bester Roman
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