trug, ergriff ihn die nationalkonservative Welle. Es war des Dichters am wenigsten fruchtbare Schaffensperiode, voll von falschen Hoffnungen und reaktionären Irrtümern.“
Die dritte Periode (1878—1898) „war gekennzeichnet von der Überwindung der Illusionen und einem ständig wachsenden Interesse an sozialen Fragen, an der Innen- und Außenpolitik des deutschen Reiches und von einem zunehmend kritischen Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft und zu den herrschenden Klassen... Diese Periode und besonders sein letztes Lebensjahrzehnt war die Zeit des größten Aufschwungs von Fontanes Realismus.“
Fontanes frühe Lyrik hält Fradkin für unreif und sogar für eklektisch und epigonenhaft, doch von Freiheitsliebe diktiert. „Fontane beschränkte sich nicht auf das Thema Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern wandte sich auch sozialen Problemen zu, die mit der wirtschaftlichen Lage der ausgebeuteten Klassen zusammenhingen.“ 36 Der sowjetische Gelehrte lehnt die Meinung bürgerlicher Literaturwissenschaftler ab, daß Fontanes zwischen 1846 und 1847 geschriebene preußische Balladen von einem Umschwung in der Weltanschauung des Dichters zeugen. Er analysiert insbesondere „York“ und meint: „In der historischen Ballade entwickelte Fontane seine früheren demokratischen Ideen weiter.“ In der unvollendeten Tragödie „Karl Stuart“ treten, in englische Kostüme des 18. Jahrhunderts gekleidet, Fontanes Zeitgenossen auf; er habe versucht, den Konflikt zwischen Königsmacht, Volk und Parlament zu lösen. Das Drama „war für Fontane nur eine allegorische Form der Darstellung politischer Probleme Preußens im Jahre 1848 und des Konflikts zwischen dem König, dem demokratischen Lager und den Parlamentariern der Paulskirche“.
Fontanes Übergang zu neuen Positionen in der zweiten Periode vollzog sich sehr schmerzhaft; „die zwanzig Jahre währende Mitarbeiterschaft an der reaktionären Presse konnte nicht ohne Einfluß auf das Schaffensvermögen des Dichters und seine künstlerische Entwicklung bleiben“. Fontane erkannte und bekannte im Spätherbst 1851 in Briefen an Bernhard von Lepel die Zweideutigkeit seiner Lage selbst („ich habe mich heut der Reaktion für monatlich 30 Silberlinge verkauft“. — „Wie ich’s drehn und deuteln mag — es ist und bleibt Lüge, Verrat, Gemeinheit.“) Und dennoch war der Dichter ständig bemüht, seine innere Unabhängigkeit zu bewahren, seinen eigenen Standpunkt zu verteidigen: „Sein innerer moralischer Protest hielt Fontane davon ab, sich in einen jeder Individualität baren preußischen Beamten zu verwandeln; so blieb der deutschen Literatur ein ehrlicher und aussagestarker realistischer Künstler erhalten.“ 37
Fradkin führt aus, daß in den Werken der fünfziger bis siebziger Jahre wie „Ein Sommer in London“, „Aus England“, „Jenseit des Tweed“, „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“; und in den Büchern über die Kriege Preußens mit Dänemark, Österreich und Frankreich „ ... ein neuer Fontane vor dem Leser erstand, der sich in seiner Weltanschau-
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