Heft 
(1975) 22
Seite
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Jubel aufgenommen wurde. Mein Vater, selbstverständlich, war an der Spitze der Erregtesten, beschloß sofort zu reisen, ,um sich die Geschichte mal anzusehen 1 , und war am 21. früh in Berlin. 21

Leider ist der Brief nicht mehr erhalten, der Inhalt muß aber doch sehr aufrüttelnd gewesen sein, denn ein Letschiner Chronist schrieb später über diesen Tag:Die Nachricht von der Revolution kam auch nach Letschin. Die Geister der ehrsamsten Bürger wurden aufrührerisch. Dem alten Fontane, dem Vater unseres Dichters, schlug das Herz hörbar hinter seinem Ladentisch in der Apotheke, er ließ das Pillendrehen sein, wie üblich, und stürmte barhäuptig auf die Straße, den schönen Zylinder, seinen Stolz, in der Eile vergessend. Draußen wurde diskutiert. In den Gasthöfen setzte sich der Lärm fort, alte Säbel von 1813 wurden hervor­geholt, und Flinten mit Steinschlössern aus der Zeit des Alten Fritz wollten ihre glorreiche Auferstehung federn. 22

Man sammelte sich vor der Kirche, forderte den Pastor zum Läuten der Sturmglocken auf, da dieser das verweigerte, mußte man sich mit dem Abreißen des Halseisens, an dem früher Strafen verbüßt wurden, begnügen. Da niemand so recht wußte wie es nun weitergehen sollte, zog man nach längerem Hin und Her und heftigen Debatten wieder heimwärts. Die Revolution war für Letschin erst einmal beendet. Der Anführer, Endert, erhielt später wegenLandesfriedensbruch 6 Monate Gefängnis.

Für die nächsten Jahre sind keine Aufenthalte Fontanes in Letschin bekannt. Sicher weilte Theodor Fontane noch einige Male dort bei seinem Vater, da diese Begegnungen aber wahrscheinlich nur kurz und ohne größere Bedeutung wären, fanden sie keine Erwähnung.

Die berufliche Entwicklung des Vaters ging weiter bergab. Pferd und Kutsche, die er selbst in schlechtesten Zeiten zu benutzen pflegte, der Wein und die Spielleidenschaft trieben ihn in den finanziellen Ruin. Stark verschuldet mußte er am 1. Oktober 1850, nachdem er die Apotheke 12 Jahre lang besessen hatte, an seinen Schwiegersohn, den Apotheker Hermann Sommerfeld, verkaufen.

Auszugsweise sei hier aus dem Kaufvertrag zitiert:

§ 1

Herr Apotheker Louis Henry Fontane verkauft sein zu Letschin bele-

f genes, im Hypothekenbuche von Letschin Val. I fol. 146 verzeichnetes Grundstück von 63 Ruthen Fläche, mit den darauf errichteten Gebäu­den, insbesondere aber auch mit der im Wohnhause angelegten Apotheke und aller in der letzteren befindlichen zum Betriebe des Apotheken- Geschäfts dienlichen Gefäße, Instrumenten und sonstigen Geräthschaften sowie mit den vorhandenen Medizinal-, Waaren-Beständen und endlich mit Allem was daran wand, nied, nagel, und wurzelfest ist, in Bausch und Bogen an den Apotheker Herrn Carl Hermann Röbert Sommer­feld. ...

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