mann von seinen ersten nennenswerten dichterischen Schritten an Jahre und Jahrzehnte kritisch-beobachtend, fast ausnahmslos aber freundschaftlich-wohlwollend und fördernd begleitet. An ihren wissenschaftlichen und weltanschaulichen Maßstäben und Wertbegriffen orientierte sich der junge Dichter; aus dem stillen Zuhörer in den „Durch“-Sitzungen wurde aber innerhalb weniger Jahre der große Dichter, der, so sieht es Wilhelm Bölsche in seinen Erinnerungen, dann nur noch „ein gewisser Segensstern über Friedrichshagen“ blieb. 1
So gingen die entscheidenden Impulse für die grundlegende Erneuerung der deutschen Literatur von einer Dichtergruppe aus, die im östlichen Vorfeld Berlins ihre Wahlheimat gefunden hatte; die Begrenzung bildeten Erkner und Friedrichshagen. Hier erdacht und konzipiert, fand das Neue sein Wirkungsfeld in Berlin.
Daß der Naturalismus, wie die neue Literaturrichtung sich nannte, in seinen fortschrittlichen Elementen seitens der vergangenen literarischen Epoche nur allein von dem alten Fontane voll anerkannt wurde, rechtfertigt es, ihn trotz seines Alters dennoch zu den „Jüngstdeutschen“ jener Tage zu zählen. Es disqualifizierte aber gleichzeitig diejenigen seiner Kollegen, die in völliger Verkennung des Neuen in der Literatur am Ewig-Gestrigen festhielten und, entgegen ihren Prophezeiungen, heute nahezu völlig vergessen sind.
Bis Gerhart Hauptmann in Erkner seinen dichterischen Durchbruch erlebte, vergingen einige Jahre, in denen seine poetische Veranlagung sich nur gelegentlich zeigte und zeigen konnte. Dem am 15. 11. 1862 geborenen Sohn des Hotelbesitzers Robert Hauptmann, dessen Vater noch selber am häuslichen Webstuhl gesessen hatte, boten sich in den Jahren der Kindheit und frühen Jugend kaum Gelegenheiten zu literarischer Betätigung. Die heimatliche Dorfschule mit dem ewig mißgelaunten Lehrer Brendel konnte ihm nichts bieten. „Lesen habe ich nicht in der Schule gelernt, sondern am Robinson Crusoe und Coopers Lederstrumpf“, erzählt er in seiner Autobiografie. An Goethe erinnert seine erste Begegnung mit „höherer“ Literatur: Während einer längeren Krankheit spielen die älteren Geschwister dem Achtjährigen auf einem Pappfigurentheater den „Hamlet“ vor, und das dürfte der entscheidende Impuls gewesen sein: „Das Ganze kam der feierlichen Grundsteinlegung eines Baues gleich, der durch siebzig Jahre gewachsen ist“. 2
Von nun an ist die Literatur aus Hauptmanns Leben nicht mehr wegzudenken; bis zu den ersten anspruchsvolleren eigenen Produktionen ist es nun nicht mehr allzuweit: Als Schüler der Realschule (1874—1878) in Breslau (Wroclaw) flüchtet er sich in jeder freien Minute in schulfremde Disziplinen. Aus dem Herbst 1876 datieren die ersten erhaltenen Gedichte, und der Besuch einiger Theateraufführungen, so z. B. des „Julius Cäsar“ und „Wilhelm Teil“ durch die Meininger, riefen in ihm ein „ungeheures, ein blitzhaftes Aufleuchten“ seiner eigenen, eigentlichen Berufung hervor. Niemand außer einem einzigen Schulkameraden zeigte irgend ein Interesse für die ersten Gedichte und kleinen Dramaszenen des Schülers
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