Heft 
(1975) 22
Seite
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logie .Moderne Dichtercharaktere und dem Holzschen .Buch der Zeit. 10 Der 8. Mai 1887 nun ist ein gewissermaßen historisches Datum, denn an diesem Tag fand sich in Erkner zum ersten Mal jener Kreis von Männern zusammen, von denen viele für Hauptmann Lebensfreunde werden sollten. An diesem Tag feierte der VereinDurch auf Haupt­manns Einladung in Erkner sein erstes Stiftungsfest. In den Protokollen wird dieser Tag ausführlich beschrieben und am Schluß in für die soziale Situation der Vereinsmitglieder bezeichnender Weise hinzugefügt, man sei bei Herrn Hauptmann in Erkner zu Gast gewesen, der in seinem Hause einlukullisches Mahl und eine hochfeine Bowle angeboten habe, sodaß sich der Abend zubachantischen Freuden gesteigert haben dürfte. Auch Bruno Wille weiß in ähnlicher Weise zu berichten:

Wo man vom hölzernen Aussichtsturme der föhrenbestandenen Kra­nichberge auf den Flakensee und das schilfige Löcknitztal, auf die blauenden Forste um Erkner schaut, gegrüßt von einer ganzen Gruppe großer Seen, dort am moosigen Hügelhange unter hohen Kiefern feierte im Frühling 1887 die Dichtergruppe .Durch ihr erstes Stiftungsfest. Mit einem Mittagspicknick bei einer Tonne Bier. Statt zu reden, lauschte man dem fernen Lachen des Spechts und dem wogenden Sausen der Nadelwipfel. Nachmittagskaffee tranken wir bei Gerhart Hauptmann, der zugleich ein Familienfest feierte: die Geburt seines zweiten Sohnes Eck(eh)art. Vor dem Abendessen, dessen Hummer-Mayonnaise und köstlicher Wein die Bohemiens erquickte, las Gerhart Hauptmann, den viele ,Durch-Genossen bisher für einen Amateur ohne sonderliche Eigenheit gehalten hatten, seinen .Bahnwärter Thiel vor. 20

Dieses Vorlesen und gemeinsame .Besprechen neuer literarischer Arbeiten war, wie schon hier in Erkner, so auch später im Friedrichshagener Dichterkreise, ein charakteristisches Merkmal für die häufig kollektiven Arbeitsformen, deren sich die Dichter der naturalistischen Epoche be­dienten und die ihnen zum Bedürfnis geworden waren. So liest Haupt­mann den Freunden Wille und Bölsche am 8. 4. 1889 in Erkner die Jesus-Szenen aus seinem unausgeführt gebliebenen autobiographischen Roman vor, und im Sommer desselben Jahres findet sich der Freundes­kreis wiederum in Erkner zusammen, um das erste große Werk des DichtersVor Sonnenaufgang zu beurteilen.

An einem solchen Sommertag im Freien, zwischen Wacholder und Heidekraut, las uns Hauptmann sein eben entstandenes Drama ,Vor Sonnenaufgang vor. Im engsten Kreis erschien es wie die Tat zu unseren Gedanken, schreibt Wilhelm Bölsche, 21 und auch für Wille war dieser Tag bedeutsam:

Im Hochsommer wars, als Gerhart neben Bölsche und mir im Walde zwischen Wacholderbüschen lag und sein eben vollendetes Drama ,Vor Sonnenaufgang Vorlas. 22

Doch bereits im Juni 1887, knapp einen Monat nach dem schon erwähn­ten Stiftungsfest des Vereins in Erkner, war Hauptmann imDurch selbst aktiv geworden. Er hielt dort einen Vortrag über Georg Büchner

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