Heft 
(1975) 22
Seite
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Renate Hoyer (Berlin [W.])

Theodor Fontane und Paula Conrad

Endlich ein Talent, eine Natur, ein Erfolg! Eine wahre Erquickung nach den Kleiderpuppen, die die modischste Modistin zur zehnten Muse machen möchten. 1

Mit diesen Worten unverhohlener Begeisterung begrüßte Theodor Fon­tane in seiner Eigenschaft als Rezensent derVossischen Zeitung im Jahre 1880 den ersten Auftritt der Schauspielerin Paula Conrad auf der Bühne des Königlichen Schauspielhauses in Berlin.

Um das Einmalige einer solchen vorbehaltlosen Zustimmung Fontanes einem Gast gegenüber würdigen zu können, erscheint eine Betrachtung des vorangegangenen Dezenniums seiner Kritikertätigkeit angebracht. Seit Fontane im Jahre 1870 als Nachfolger von Friedrich Wilhelm Gu- ibitz 2 Kritiker derVossischen Zeitung für das ReferatKönigliches Schauspiel geworden war, hatte er schon im Verlaufe von wenigen Jahren resignierend einsehen müssen, wie wenig die kritische Äußerung das Dargebotene auf der Bühne zu beeinflussen vermag. Die Erkenntnis, Der dabei Verlierende ist freilich immer nur der Kritiker selbst, da erfahrungsgemäß weder seine Wahrnehmungen, noch seine Begründungen irgend etwas zu ändern pflegen 3 , mußte doppelt bitter sein für einen Menschen wie Fontane, der seine Aufgabe mit tiefem Verantwortungs­bewußtsein versah und sie so klar und unmißverständlich zu definieren wußte:Wir sind nicht dazu da, öffentliche Billets doux zu schreiben, sondern die Wahrheit zu sagen oder doch das, was uns als Wahrheit erschein t. 4

Dieser Pflicht zur Wahrheit Fontanes häufiger Gebrauch des Wortes Pflicht in seinen Theaterkritiken ist bezeichnend für seine Einstellung seinem Metier gegenüber oft gleichbedeutend mit der Pflicht zum Tadel, hat sich Fontane in den langen Jahren seiner Tätigkeit als Kritiker nie zu entziehen versucht.

Die vielen minderwertigen und mangelhaften Leistungen, die er in dieser Zeit zu bewerten hatte, ließen ihn oftmals Zweifel an der eigenen Urteilsfähigkeit, an der Richtigkeit seiner Ansprüche und Maßstäbe äußern, die er seinen Lesern nicht vorenthielt:Das viele Tadeln wenn sich der, der den Tadel ausspricht, nicht für unfehlbar hält macht zuletzt den Tadler selber unsicher und legt ihm die Frage nahe, ob er nicht Unmögliches verlange.., 5

Wie gern gab er dagegen seiner Freude und Dankbarkeit Ausdruck, wenn ihm wieder einmal bewiesen wurde, daß Talent und Fähigkeiten eins Künstlers das fast Unerreichbare möglich machten und den nach Fontanes eigener Aussage -Querulant in aestheticis 6 seiner Selbst­kritik enthoben.

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