auf dem Königlichen Theater der Hauptstadt aber niemals verteidigen konnten. Auch eine allseits gefeierte Schauspielerin wie die Heroine Klara Ziegler 12 , deren Name über Deutschland hinaus bekannt geworden war, vermochte in ihrem Manierismus und der statuarischen Eintönigkeit ihres Spiels vor Fontanes kritischen Augen nicht zu bestehen. Trotz aller Verlegenheit, in die sich der Kritiker in einem solchen Augenblick gebracht sah, überwogen in ihm die Verpflichtung zur Aufrichtigkeit und das Gefühl der Verantwortung seiner Aufgabe gegenüber: er tadelte. „Es ist mir leid, einem berühmten Gast, einer liebenswürdigen Dame gegenüber immer wieder und wieder diese Sprache führen zu müssen; aber ich halt’ es andererseits für meine Pflicht, gegen den Ziegler-Enthusiasmus zu protestieren und die Vorstellung, soweit es in meiner Kraft liegt, nicht aufkommen zu lassen, als habe man in unserer Mitte, hundert Jahre nach Goethe, schöne, plastische Stellungen von hoher dramatischer Kunst nicht zu unterscheiden gewußt... “ 13
Bei besonders schlechten Leistungen aber überwog bisweilen der Groll des Kritikers alle eigenen Bemühungen um Rücksichtnahme und Schonung. Fontane wurde dann beißend und sarkastisch: „Ich hatte von der Antigone Frau Clara Zieglers auch nicht den geringsten Eindruck... Keine Spur von Innerlichkeit, und als sie zuletzt, mit übergeworfenem grauen Schleier, in ihre Felsengruft abgeführt wurde, dacht’ ich weniger an des Sophokles Antigone als an die Theodor Stormsche .Regentrude“ 1 . 14
Wiederholt wandte sich Fontane gegen die zahlreichen Auftritte junger Mädchen, die „auf Engagement“ im Schauspielhaus gastierten. Deutlich bewiesen sie ihm und einem aufmerksamen Publikum, wie wenig ein angenehmes Äußere fehlendes Talent und mangelhafte Ausbildung zu ersetzen vermochte. So äußerte er unmißverständlich seinen Ärger anläßlich des Gastspiels einer jungen Schauspielerin aus Magdeburg 1 "’, die im Mai 1878 zum ersten und auch letzten Mal die Königliche Bühne betrat: „Eine junge, wohlgewachsene Dame ... arrangiert ihre dunkelblonde Haarfülle, setzt einen modernen Sommerhut auf und spricht einige gleichgültige Sätze. Was die Kritik damit machen soll, ist schwer erfindlich ... “ 16
Fontane warnte vor dem Engagement einer „Kollektion von jungen Damen ... deren niemand recht froh wird“ 17 , weil er nicht nur Nachteile für das Königliche Theater darin sah, sondern auch die Unbill empfand, die die Darstellerinnen durch die negative Kritik bei Presse und Publikum erfahren mußten.
Am 13. Mai 1880, nach der Premiere eines Schauspiels des Dänen Mol- bech 18 , sah sich Fontane wieder einmal gezwungen, seiner Empörung Ausdruck geben zu müssen über die Minderwertigkeit ausländischer Stücke, die auf der Königlichen Bühne zur Aufführung kamen: „Der dänische Gast, der gestern spielte res. gespielt wurde, stand ganz auf der heurigen Gastspielhöhe. Wie kann man sich so vergreifen! Wie kann man den Geschmack, den guten, berechtigten Geschmack unseres Publikums so total verkennen!“ 19
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