Wie es damals üblich war, reisten nicht ganze Ensembles im Land umher, sondern nur die jeweiligen Protagonisten. Die Partner eines Gastes wunden dann aus den vorhandenen Ensemblemitgliedern rekrutiert. Daß, je nach der Qualität des Schauspielerpotentials, das eine Bühne besaß, die Aufführungen unterschiedlich ausfielen, war unvermeidlich, wurde aber in Kauf genommen, da sich die Aufmerksamkeit daß Publikums in erster Linie dem Gast zuwandte. Paula Conrad hatte das Glück, neben Auguste Wilbrandt-Baudius auf der Bühne stehen zu dürfen. Diese wurde auf den begabten Nachwuchs aufmerksam und empfahl die vielversprechende Kollegin dem Generalintendanten der Königlichen Theater in Berlin, Botho von Hülsen 33 . Auf diese Weise gelang der jungen Schauspielerin, die bis dahin kaum eine theoretische und systematische Lehre, sondern nur eine praktische Ausbildung in Sachen Theater erhalten hatte, „irgendwo aus Mähren her“ 35 der Sprung auf die erste Bühne Deutschlands.
Der unerwartete Widerhall ihres Gastspielauftrittes in der Berliner Presse, allen voran Fontanes unüberhörbare Zustimmung, veranlaßte den Generalintendanten, die Conrad in einem Schreiben an den Kaiser zum Engagement vorzuschlagen. Die Anstellung wurde „allerhöchsten Ortes“ genehmigt, und Paula Conrad wurde noch in der alten Spielzeit, sechs Tage nach ihrem ersten Auftritt, am ersten Juni 1880, Mitglied des Königlichen Schauspielhauses in Berlin. Sie trat zunächst mit großem Erfolg als jugendliche Naive in Backfisch- und Hosenrollen auf.
Fünf Monate später, die Conrad spielte die Rolle der Hildegard in einem Schauspiel von Paul Lindau 35 , nahm Fontane die Gelegenheit wahr, in seiner Rezension auf seine ersten Eindrücke zurückzugreifen. „In Fräulein Conrad erfüllten sich meine guten Meinungen. Ihr Spiel ist ein wenig outriert und muß sich mäßigen und verfeinern, aber alles an ihr hat einen gewissen Genialitätsstempel, der auch dem Unbedeutenden und Alltäglichen einen Reiz zu leihen weiß ... “ 3B Als nächste Aufgabe übernahm Paula Conrad den Puck in einer Neueinstudierung von Shakespeares „Sommemachstraum“. In dieser Rolle, die die Schauspielerin im Laufe ihres langjährigen Engagements am Königlichen Schauspielhaus noch viele hundert Male spielen sollte, wurde Paula Conrad und mit ihr diese „Sommemachtstraum“-Inszenierung zu einem wirklichen Begriff in der Theaterwelt Berlins. Nur Fontane war mit der Verkörperung des Puck durch die Conrad nicht einverstanden. „Fräulein Conrad gab den Puck. Ich kann nicht sagen, mir sonderlich zu Dank, obschon ich glaube, sie könnt’ es. Ihrer ganzen Persönlichkeit nach, äußerlich wie innerlich, ist sie wie für den Puck prädestiniert, und doch mißlang es ihr, etwas Tüchtiges daraus zu machen ... Er ist nicht eigentlich ein Fehlgriff, aber ein schwacher Griff...“ 37 Fontane hatte während seines Englandaufenthaltes (1855-^1859) in London die zehnjährige Ellen Terry 38 als Puck gesehen und war von der Darstellung des Kindes so beeindruckt worden, daß er sich „einen erwachsenen Puck mit vollem Nacken und runden Armen“ 39 nicht mehr vorstellen konnte. Obwohl die Neueinstudierung des Schauspielhauses
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