Heft 
(1975) 22
Seite
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bewußt mit der traditionellen Vorstellung brechen sollte, derSommer­nachtstraum sei einheiteres, phantastisches Ballett mit einiger Opernzutat... und der Puck ein Elfen wesen in Tanzpose, schien Fontane diese Aufgabe nicht gelungen. Er vermißte den Geist der Dichtung ebenso wie die rein akustische Verdeutlichung des Shakespeare- Wortes.Und nun frag ich, was hab ich, nach der poetischen Seite hin, von einem Puck oder einer Titania, die mir nichts als ein rotes Hütchen oder eine goldne Haarflut in der Erinnerung lassen? Um sich, von der Bühne her, an einer Dichtung erheben zu können, muß man sie doch in erster Reihe verstehen. Dies war einfach nicht der Fall... Und das ist der Hauptvorwurf, den ich ihr (Paula Conrad) zu machen habe. Sie hat sich viel zu sehr mit ihrem Kostüm, ihren Bewegungen, ihrem Sprung- und ihrem Trippelschritt beschäftigt und hat dabei die Shake- speareschen Verse zu kurz kommen lassen ... 41

Paula Conrad sah ein, wie berechtigt dieser Tadel Fontanes war. Sie, die schon seit ihren Engagements in den Provinz jede ernstgemeinte Kritik aufgegriffen und zum Gegenstand der erneuten Auseinander­setzung mit der jeweiligen Figur gemacht hatte, beschäftigte sich noch­mals eingehend mit der Puck-Rolle und erarbeitete sich auch das geistige Fundament dieser Aufgabe.

Vorerst aber sah Fontane weiterhin Grund zur Kritik. Er beklagte sich auch über die akustische Unverständlichkeit ihrer nächsten Rolle. ... (sie gibt ein kleines Mulattenmädchen)... ich verstand kein Wort von ihrem Vortrag. Und das ist mir doch zu mulattisch. 42 Hatte Fontane Anfang 1881 in einer Rezension noch bekannt:Sie hat einen glücklichen Anflug von Genialität und interessiert mich auch da noch, wo sie mir nicht gefällt... 43 , so sah er sich schon vier Wochen später veranlaßt, die Schauspielerin zu ernsthafter Arbeit aufzurufen und zur Vervollkommnung ihrer künstlerischen Möglichkeiten: ... Sie hat ein glückliches Naturell, ein die Sinne gefangennehmendes Tempe­rament. Aber das sind alles nur Mittel, und sie leistet damit nicht das, was ihr Gastspiel versprach. Sie spielt wie das Mitglied eines Liebhaiper­theaters, angesichts dessen sich die ganze Männerwelt unter Bravo­klatschen einander zuruft: .Wetter, hat die Talent*; aber damit ist es nicht getan. Eine Schauspielerin soll nicht bloß das Gefühl wecken, sie könnte vielleicht eine sehr gute Schauspielerin werden, sie soll es schließlich doch auch sein. 44

Zwei Wochen nach dieser Kritik Fontanes bat Paula Conrad den Generalintendanten um ihre Entlassung. Sie fühlte den Vorwurf Fon­tanes und verstand seine Enttäuschung nur zu gut, sah sie sich doch selbst getäuscht. Sie hatte mit der Aufnahme in den Verband des Königlichen Theaters auf Förderung und Entwicklung ihrer Anlagen gehofft, mußte aber bald erkennen, daß eine fachliche und ausbildungs­mäßige Unterstützung nicht im Rahmen der Möglichkeiten dieses Theaters lag. Das vielgerühmte Schauspielerensemble bestand aus einer Anzahl hervorragender Einzeldarsteller, deren Leistungen auf der Bühne kein Regisseur zu einem einheitlichen Darstellungsstil zu verschmelzen ver-

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