Heft 
(1975) 22
Seite
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seltenes. Fräulein Conrad wurde auf die Rolle der Hedwig hin, in ,Sie hat ihr Herz entdeckt', engagiert. Und mit Recht. Ich bekenne mich auch heute noch zu dem Satze, ,daß ich etwas so Reizendes noch nie gesehn'. Allerdings kam dann ein Stillstand, ein scheinbarer Rückgang, an dem aber die liebenswürdige Künstlerin sehr unschuldig war... Rollen, in denen sie sich betätigen konnte, hatte sie vielleicht nur zwei: die... Hildegard... und den Puck... Aber mit dem Puck (in dem sie übrigens sehr gefiel) ist hierlandes, infolge falscher Auffassung, nicht viel zu machen. Und so bot ihr denn diese Hermance zum ersten Male wieder eine Gelegenheit, ihr bedeutendes und ganz eigenartiges Talent zu zeigen. Beides, ihre Bedeutung und ihre Eigenart, liegt darin, daß sie jeg­liches aus der Sphäre der Gleichgültigkeit herauszuheben weiß... Sie macht alles interessant, sie belebt jede Szene, sie erzwingt und fesselt die Aufmerksamkeit auch da noch, wo man ihr nicht zustimmt ja wo sie einem mißfällt, und gehört alles in allem so recht eigentlich zu den Erscheinungen, an denen man die Macht einer Persönlichkeit studieren kann. Sie hat einen Charme, und dieser Charme wächst dadurch, daß er von einer ganz leisen unfreiwilligen Komik begleitet ist. Naive Persönlichkeiten von Geniestempel halben diesen Anflug sehr oft, und in ihren ernstesten Momenten und Auseinandersetzungen kann man über sie lachen. Aber es ist ein rührendes und erquickendes und beinah erhebendes Lachen, kein Auslachen. Auch Fräulein Conrad gehört in diese Kategorie; sie hat etwas von einem poetisch graziösen Stehauf! Ihre Wirkung auf mich ist ganz unmittelbar, und hierin birgt sich das Geheimnis ... sie... tangiert... meine Gefühlsnerven so stark... daß die Wirkung auf mich auch schon das Urteil selber ist. Alle Zwischenstationen fallen fort. Ich glaube, daß das Talent der jungen Künstlerin ein Talent ist, dem die liebevollste Förderung und, soweit wie möglich, ein Entgegenkommen gebührt. Entgegengesetzten Falles kann, so mein ich, der Zeitpunkt nicht ausbleiben, wo sie mit zwölf oder vielleicht nur mit sechs Rollen im Koffer ihre Züge beginnt, die sich dann, wenn mich meine Kenntnis des menschlichen Herzens nicht total irreführt, notwendig zu Siegeszügen gestalten müssen. Indessen, das alles steht nur gezwungen und faute de mieux in Sicht. Sie weiß sehr wohl, daß dies Siege sind, die die Kraft erschöpfen' und das Talent trivialisieren, und daß stille, bescheidene Triumphe das Wünschens­wertere sind, zumal für ,ein Kind des Glücks'. 47

Die Unterstützung und Beachtung, die Fontane für die Schauspielerin forderte, konnte Hülsen nicht gewähren. In seiner militärisch straff geführten Verwaltung, unter der die Mitglieder des Schauspielhauses als königliche Darstellungsbeamte 48 fungierten, war es ihm unmöglich, die Rangordnung zu durchbrechen, in der Alter und Verdienst den Platz vor künstlerischer Beweglichkeit und produktiver Gestaltungskraft ein- nahmen.

Im März 1882 unternahm Paula Conrad einen zweiten Versuch, das Königliche Schauspielhaus zu verlassen. Sie gastierte auf Engagement an drei Abenden am Hofburgtheater ihrer Heimatstadt Wien und wurde

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