Die Rolle des „Kätchen von Heilbronn“ in Kleists gleichnamigem Schauspiel, eine Lieblingsrolle der Conrad, mit der sie schon in Brünn, heute Brno, durch poetische Grazie und naive Anmut das Publikum bezaubert hatte, wurde ihr in Berlin vorenthalten 61 , ein Versäumnis, das umso größer war, als das klassische Rollenrepertoire für die Schauspielerin ihrer geringen Körpergröße wegen ohnedies beschränkt war.
Genau wie Hülsen erkannte Hochberg die Bedeutung der Conrad für das Schauspielhaus und wie sein Vorgänger war er bemüht, der Künstlerin finanziell so weit wie möglich entgegenzukommen. „Die Königliche Schauspielerin Conrad ... welche unbestritten zu den ersten und besten Mitgliedern des Schauspiels zählt, hat sich im Laufe ihrer künstlerischen Thätigkeit immer mehr zu dem erklärten Liebling des Publikums und der gesammten Presse emporgearbeitet. Die letztere betont bei jeder Gelegenheit einstimmig, Welchen Schatz das Königl. Schauspiel in dieser jungen Künstlerin besitze und ich kann mich diesem Urtheil nur in jeder Beziehung anschließen. Die resp. Conrad ist durch ihre liebenswürdigen und genialen Darstellungen eine Kraft, welche auf der deutschen Bühne wenig Conkurrentinnen haben dürfte und welche in Folge ihrer ganz besonderen Veranlagung und ihrer Persönlichkeit zu der Hoffnung berechtigt, nicht nur in dem jetzt vertretenen Fache der Naiven noch sehr lange mit Erfolg thätig sein zu können, sondern auch dereinst einmal eine vortreffliche .komische Alte' zu werden. Aus diesem Grunde und in dem Bestreben, ein solches Mitglied dem Kgl. Theater zu erhalten, habe ich es für meine Pflicht erachtet, wenn der Contract der resp. Conrad auch erst am 1. Juni 1889 zu Ende geht, dieselbe schon jetzt auf längere Zeit zu binden. Ich sah mich auch deshalb schon jetzt dazu veranlaßt, um den zweifellos an die Künstlerin herantretenden verlockenden Anträgen von anderen Bühnen zuvorzukommen und habe damit auch die Wünsche der resp. Conrad selbst erfüllt, in dem ich zugleich den Forderungen bezüglich ihres Einkommens im Vergleich zu den Bezügen anderer erster Mitglieder gerecht zu werden, keinen Anstand genommen habe... “ 62
Die in dem Brief an den Kaiser vom 29. Mai 1888 ausgesprochene Bitte einer vorzeitigen Verlängerung des Vertrages der Schauspielerin auf weitere zehn Jahre wurde ohne Einwände genehmigt. 63
Eine gewisse Verbesserung der künstlerischen Situation der Conrad ist allgemein seit dem Jahre 1890 zu konstatieren, als die Schauspielerin, seit mehreren Jahren mit Paul Schlenther 6 ' 1 bekannt, ihre Verlobung mit dem Schriftsteller und Theaterkritiker öffentlich anzeigte. Hocherfreut über diese Verbindung reagierte Theodor Fontane: „In unsere Gebirgseinsamkeit herauf konnte keine frohere Nachricht steigen als die Verlobung von Paul Schlenther und Paula Conrad. Alles stimmt, zum Zeichen dessen auch schon die Namen, Männlein und Weiblein. In unserer Zeit, wo sich alles um Besitz und Zeremonie dreht, ist es doppelt erquicklich, statt zweier Goldsäcke zwei Herzen sich finden zu sehen. Und zugleich zwei Intellekte und zwei Charaktere, was zum
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