Heft 
(1975) 22
Seite
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Glücklichwerden mit zugehört. Das erst gibt die solide Grundlage. Die Urteile über Mischehen sind geteilt, soll heißen über solche Ehen, wo beide Teile Kunst ,miteinbringen; wenn alles ist, wies sein soll und die Kunst einfach Kunst und nicht auch ein Freibrief der Bummelei ist dann sind Künstlerehen die besten, weil man sich gegenseitig versteht. 6 '' Auch zu Paul Schlenther, der seit 1886 neben Fontane an derVossischen Zeitung als Kritiker für die Privattheater fungierte, hatte der Dichter eine herzliche Beziehung entwickelt. Von ihm fühlte er sich in seinen dichterischen Absichten und Zielrichtungen bis ins Detail begriffen und schon zu einer Zeit verstanden, als er von Paul Schlenther nicht mehr als dessen Namen kannte und diesen Namen noch für ein Pseudonym Otto Brahms 06 ansah. So schrieb er an Brahm, den Jugendfreund und Weggefährten Schlenthers, anläßlich einer Besprechung Schlenthers von Fontanes RomanLAdultera im Juni 1882:Sind Sie selbst P. Schlen­ther (von dem ich schon früher Einiges in der ,Tribüne* gelesen habe) ... gleichviel, ich bin, so oder so, dem Träger dieses Namens sehr zu Danke verpflichtet. Das nenn ich kritisieren! Es wird mir nichts geschenkt, oder wenigstens nicht viel, und die schwachen, angreifbaren und namentlich auch die sehr in Frage zu stellenden Seiten meiner Arbeit werden herausgekehrt. Aber nebenher läuft doch zweierlei: das Anerkenntniß, daß man es mit einem ordentlichen und anständigen Menschen, und zweitens das Anerkenntniß, daß man es mit einem sein Metier ernsthaft übenden, anständigen Künstler zu tun hat. Den Künstler nehm ich noch mehr für mich in Anspruch als den Dichter... Ich bin nun seit beinah vierzig Jahren Schriftsteller, aber unter den mehr als tausend Kritiken, die sich mit mir beschäftigt haben, sind keine zehn, vielleicht keine sechs, die dieser gleichkommen, und ist nicht eine, die dieser den Rang abläuft... 67

Während der langjährigen persönlichen Bekanntschaft und Freundschaft mit Paul Schlenther fand Fontane seine gute Meinung von dem jungen Kritikerkollegen bestätigt:Ich freue mich herzlich, daß Sie sich selbst geben und ein Programm in der Brust und nicht bloß in der Brust­tasche haben. 68

* Wenn Fontanedie natürliche Konsequenz eines frischen, gesunden und starken Empfindens 69 als einzige Legitimation für den Kritikerberuf gelten ließ, so sah er diese Forderung bei Paul Schlenther erfüllt. Schlenther besaß densicheren Hammerschlag 70 und war von einer Fontaneunendlich wohltuenden Kraft und Fähigkeit, den Nagel auf den Kopf zu treffen. 71

Schlenthers Begabung zur klaren Definition von Ursache und Wirkung und die Prägnanz seines Stils lobte Fontane auch in einem Brief an Friedrich Stephany vom April 1886: ... Zu gleicher Zeit aber leb ich und sterb ich der Überzeugung, daß wir in Brahm-Schlenther die besten Nummern der jungen Schule ... haben. Von Natur gescheit, gut geschult und gebildet, fleißig, klar und gute Stilisten und in ihren besten Momen­ten auch mit Witz ausgestattet, sind sie all den andern, die ich kenne, literarisch ... überlegen. 72

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