und was ich aus deren Munde so eben wieder erfahre, ist ein sehr schwacher und sogar sehr falscher Ausdruck dessen, was ich über Ihre Hilde denke... Zunächst müssen Sie durchaus vergessen, daß ich am Schlüsse meiner Kritik geschrieben habe: ,Frau von Hochenburger und Frl. Conrad waren reizend 1 . Es ist nicht ganz falsch. Denn die lebenden Bilder, die man empfing, waren anmuthig, gefällig. Dennoch ist .reizend 1 ein ganz dummes Wort, das Sie in seinem Nichts, in seiner Phrasenhaftigkeit ganz richtig erkannt und sich mit Recht darüber aigrirt haben. Aber wie kommt dergleichen? Es ist ein Verlegenheitswort Weiter nichts. Da setzt man sich hin und hat in drei Stunden eine ellenlange Kritik zu schreiben über eine, wie ich Ihnen nicht erst zu sagen brauche, sehr schwierige Materie. Das Mädchen, eingemummelt, steht schon hinter einem, mit einem Markstück in der Hand, um sich sofort auf eine Droschke erster Klasse stürzen zu können. Alles ist in Hast, Angst und Aufregung, und noch immer sitzt der unglückliche alte Mann an seinem Schreibtisch und fegt über die Seiten hin und ist immer noch nicht fertig. Endlich. Aber da sind ja noch die Schauspieler! Meyer phänomenal. Ludwig dito. Vollmer verfehlt, Conrad reizend — abgemacht, weg. Es ist alles ehrlich gemeint. Auch der ungefähre Ausdruck, aber alles grob, ungehobelt, unvollständig, auch im Lob angreifbar, übertrieben, alles schönen Maßes entbehrend. Das beklage ich am meisten. Aber es ist nicht zu ändern... Alles bleibt unvollkommen.
Und nun zur Rolle. Ich finde die Hilde eine ganz köstliche Figur, echt ibsensch und von der besten Sorte. Ein junges Ding mit dem ganzen Bachfischübermuth, hartherzig, grausam, insolent und doch mit einem herrlichen Fond echten, tiefen Gemüths, schwärmerisch ... liebebedürftig, keck, humorvoll — eine reizende Person, ein ganzer Mensch. Aus diesen Elementen hat Ibsen seine Hilde gemischt, und Sie haben die Mischung gegeben, aber, nach meinem Gefühl, nicht nach den richtigen Prozentsätzen. ... Und so ist nicht das herausgekommen, was sonst Ihre Stärke ausmacht: Anmuth, Gefälligkeit, Temperament, Witz, Gute Laune. Von all dem ist was da, aber nicht genug... So haben Sie die beiden Elemente der Rolle bis auf einen gewissen Grad gegenseitig tot gemacht, und das soll nicht sein. Es ist fraglich, ob solche Balancirkunststücke auf der Bühne überhaupt ausführbar sind. Eins muß immer das Prädominierende bleiben, und wenn eine Künstlerin von Ihrer Natur und Eigenart die Wahl hat, ob sie nach der Seite des liebenswürdigen, an- muthigen Schelms oder nach der Seite des herben Backfisch-Balges sich neigen soll, so bin ich bis auf Weiteres für das Erstere...
Und nun spielen Sie heute, wie Sie neulich spielten, und dann wollen wir, wenn es Ihnen paßt, nachher weiter darüber reden.
■Wie immer Ihr Th. Fontane“ 10
Fontane hat es nicht bei der persönlichen Aussprache bewenden lassen. Mit der Begründung, „eine Spielschuld“ 8 ' 1 abtragen zu müssen, die aus der unterlassenen Beurteilung der Schauspieler resultierte, besuchte er
470