Heft 
(1975) 22
Seite
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Mit der Beendigung von Fontanes Kritikertätigkeit fehlen seine verläß­lichen Urteile über den weiteren schauspielerischen Werdegang Paula Conrads. So gibt es keine Äußerung des Dichters über den großen Erfolg der Künstlerin als Katharina inDer Widerspenstigen Zähmung von Shakespeare mit Adalbert Matkowsky 101 als Partner, keine Zeile über ihre Lotte Balzer in Wildenbruchs SchauspielMeister Balzer, ebenfalls mit Matkowsky, und auch kein Wort Fontanes über Paula Conrads erste große dramatische Rolle als Martha Bode in Viktor NaumannsIkarus, einem Stück, das trotz der unbestrittenen schauspielerischen Glanzleistun­gen von Paula Conrad und Maximilian Ludwig 102 , aus sogenannten sitt­lichen Erwägungen, kurz nach der Premiere für immer vom Spielplan verschwand. Auch einer ihrer größten Triumphe, den die Künstlerin als Lanzelot Gobbo in ShakespearesKaufmann von Venedig im Schau­spielhaus feiern konnte und der für viele Jahre eine Neubelebung des alten Schauspiels zur Folge hatte, wurde von Fontane nur indirekt in einem Neujahrsbillet erwähnt:Mit herzlicher Freude haben wir von dem gelungenen ,Kaufmann von Venedig 1 und dem noch gelungeneren Lanzelot Gobbo gehört und gelesen ... 103

Da Fontane mehrmals äußerste, er seifroh, keine Kritiken mehr schreiben zu müssen ... m , ist auch anzunehmen, daß er seinen Vorsatz wahr machte und in den letzten Jahren seines Lebens kaum noch Premieren besuchte. Andererseits ist aber sicher, daß er sich hin und wieder einzelne, ausgewählte Aufführungen ansah. Abgesehen von allen bildungsmäßigen Aufgaben des Theaters, betonte Fontane den reinen Unterhaltungswert, den ein Schauspielhaus zu bieten imstande ist. Ich .. . räume aber ein, daß das Theater unter den guten Zerstreuungen und Erquickungen doch obenan steht. Die Sache hat einen Reiz und auch die Personen. Ein Geheimrat muß schon sehr gut sein, wenn er so interessant sein soll wie Frau Kahle oder die kleine Conrad ... lor> Die wichtigste Rolle Paula Conrads in jenen Jahren war die des Hannele in der Uraufführung von Gerhart Hauptmanns TraumstückHanneles Himmelfahrt, die am 14. November 1893 im Königlichen Schauspiel­haus stattfand. Fontane hat diese Inszenierung gesehen. Wie er die Verkörperung der Titelrolle durch Paula Conrad beurteilt hat, die nach der Meinung der Kritikmit dem sterbenden und träumenden Dorfkind Hannele den Höhepunkt ihrer künsterischen Laufbahn erreichte..." 1Wi , ist nicht bekannt. Es bleibt zu vermuten, daß seine unbedingte Ableh­nung des Stückes, das er trotz seiner Hauptmann-Anhängerschaftver­fehlt und verwerflich 107 fand und das in ihmnicht den geringsten Eindruck 106 hinterließ, auch seine Aufnahmebereitschaft für die schau­spielerischen Leistungen vermindert hat.

Das gewonnene Terrain, das sich Paula Conrad durch die große Resonanz ihrer Hannele-Rolle bei Presse und Publikum erobert hatte, vermochte sie in den folgenden Jahren kaum weiter zu befestigen. Eine schwere Kehlkopferkrankung Folge der dauernden Überforderung der Künstle­rin machte die Conrad vom Herbst 1894 bis zum Sommer 1895 arbeits­unfähig.

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