Für Paul und Paula Schlenther war die Verlobungsfeier von Martha Fontane die letzte Begegnung mit dem Dichter, den sie noch einmal im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erlebten: „Voller Entwürfe, voll regsten Interesses für alles und jedes, so sah ich ihn noch Freitag, den 16. September, abends in seinem Arbeitsstübchen zwischen Erich Schmidt und meiner Frau sitzen. Zur Feier der Verlobung seiner ihm geistesverwandten einzigen Tochter war ein kleines, feines Essen bereitet worden. Nur neun Personen. Der Alte in seiner herrlichen, lieben Greisesschönheit Mittelpunkt und Seele der Unterhaltung.“ 110
Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Schlenther nur noch vorübergehend in Berlin auf. Seit Anfang 1898 war er Direktor des Hofburgtheaters in Wien geworden. In das Für und Wider, mit dem in literarischen Kreisen die mögliche Annahme eines so umstrittenen Postens durch Schlenther erörtert worden war, hatte sich auch Fontane mit grundsätzlichen Erwägungen eingeschaltet: „Daß er nach Wien geht, glaub ich nicht; die Gegenströmung dort ist zu stark. Er hat mir selbst erzählt, daß er der Gegenstand unausgesetzter, heftigster Angriffe ist. Aber wenn er auch siegen sollte, so wäre das kein Glück für ihn. Er hat ja hier eine beneidenswerthe Stellung; die vielen Feinde, deren er auch hier in Berlin genugsam hat. schaden ihm nichts, da alle anständigen Leute ... auf seiner Seite stehn. Er ist als Mensch geachtet. Die Berliner Presse hat ihn zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Sein Einfluß ist groß; jeder umwirbt ihn. Dazu hat das Paar hier eine Gesamt-Einnahme, die nicht viel unter 30.000 Mark sein wird ... “ 117
Einen Beweggrund Schlenthers, der aller Wahrscheinlichkeit nach dessen Entscheidung für Wien nicht unmaßgeblich beeinflußt hat, hatte Fontane schon fünfzehn Jahre zuvor -mit erstaunlicher Klarsichtigkeit aufgedeckt, als er über die Hülsen-Polemik 118 des jungen Schriftstellers urteilte, die Schlenther 1883 veröffentlicht hatte: „Das Büchelchen Schlenthers ist merkwürdig gut... Es ist überreich ... an scharfen und richtigen Beobachtungen ... Trotzdem ist das Ganze... ein Überfluß, ein Schlag ins Wasser, eine Ungerechtigkeit. Denn aller Mängel Hülsens unerachtet ist seine Verwaltung und sein Verwaltungs- Resultat um kein Haar breit schlechter als das, was Wien oder München, oder Dresden oder Hamburg seit 20 Jahren geleistet haben. Hinter all’ dem lauert nur der Wunsch, auch irgendwo 'mal die Rolle von Heinrich Laube zu spielen ... “ lw
Der Faszination, die von der Vorstellung ausging, als Nachfolger namhafter Direktoren und Regiepersönlichkeiten die Geschicke eines berühmten alten Theaters mit einem Stamm hervorragender Schauspieler leiten und lenken zu können, war auch Schlenther erlegen. „Er wird so beneidet“, schrieb Fontane an Friedrich Stephany, den Chefredakteur der „Vossischen Zeitung“, „Ich beneide ihn nicht. Es muß ein Hundevergnügen sein, und manche Schwierigkeiten spotten aller Klugheit... “ 120 Die absolute Richtigkeit der Meinung Fontanes wurde durch die Zeit bestätigt. Den ..Sturm, der allmählich, Mann und Verdienst vergessend, ,
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