Erlebnis ein, das sich hier paßlich einreiht. Ich ging gestern heimlich (was denn auch später moniert wurde) zu Mey und Edlich, um mir einen kleinen schwarzen Sommerrock für 10 M. zu kaufen. Was auch geschah. ,Aber wird er passen?“ — ,Oh, wir werden gleich sehn! 1 Ich nahm dies als eine Aufforderung, was es auch war, mußte in der Haltung der jungen Dame aber doch irgendeine mich dirigierende Bewegung übersehen haben, denn als ich jetzt Miene machte, mich in conspectu omnium und im Bewußtsein eines eben erst angezogenen schneeweißen Hemdes, meines schwarzen Tuchrocks entkleiden wollte, traf mich ein Angstblick, der etwa ausdrückte: ,Mein Herr, dies ist keine Badeanstalt. 1 Ich folgte ihr nun beschämt durch allerhand dunkle Korridore, bis ich endlich an einen männlichen Schneider abgeliefert wurde. Nun aber komme ich auf mein Thema zurück und sage, man kann auch sein talent epistolaire ... in Reflexionen, philosophischen Betrachtungen, Bildern, Vergleichen, Angriffen und Verteidigungen zeigen.“
Dieser Brief an die Tochter ist selbst die klassische Praxis der Theorie, die er zu formulieren sucht. Die Einheit von pikanter Anekdote und geistreich daran geknüpftem Räsonnement ist typisch für Fontanes Briefe. Er stellt die Reflexion weit über die Mitteilung, er gibt Meinungen statt Fakten, er plaudert verbindlich, wo andere nur berichten, er läßt sich von Belanglosigkeiten zu amüsanten oder höchst bedenkenswerten Assoziationen anregen. Ja, er meinte sogar, daß er „bei Nicht- Stoff in der Regel besser schriebe als bei viel Stoff“. Daher erweist sich der reine Informationsgehalt Fontanescher Briefe meist als gering. Wie wenig Aufschluß sie beispielsweise über die detaillierte Entstehungsgeschichte seiner Werke, vor allem der Romane und Erzählungen, geben, überrascht immer wieder. Gewiß, es finden sich recht interessante Selbstdeutungen, aber die werkgeschichtlichen Hinweise sind denkbar spärlich. Selbst die so bekenntnisreiche Alterskorrespondenz mit Georg Friedlaender, die die vierzehn fruchtbarsten Jahre des Erzählers Fontane begleitet, enthält nur wenig Angaben in dieser Richtung.
Ähnliches läßt sich auch beim jungen Fontane beobachten, und der Briefwechsel mit Wolfsohn oder Lepel bleibt unter diesem Aspekt ebenso unergiebig; denn schon der frühe Fontane bekannte sich nachdrücklich zur literarischen Form des Briefes, wenn er selbst in dieser Zeit auch noch zahlreiche „Notizenbriefe“ verfaßt hat. Am 18. Februar 1858 schrieb er an Wilhelm von Merckel: „Briefe sind gemeinhin bloße Kosthäppchen, die den Appetit anregen, statt ihn zu befriedigen. Selten ist es einem beschert, sich vor einem Briefe wie vor einem wohl servierten Diner niederzusetzen und ein Dutzend Gänge (darunter allerhand Lieblingsspeisen) mit wachsendem Behagen zu sich nehmen zu können.“ Fontane bereitete seinen Partnern mit jedem seiner Briefe ein solches literarisches Diner. Jedesmal stellt er sich neu auf den Adressaten ein,
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