und selbst wenn er fünf oder sechs Briefe hintereinander schrieb, wiederholte er sich nie. Mit bezaubernder Verbindlichkeit sucht er das jeweils Gemeinsame zu treffen, knüpft er mit Charme, mit Ironie, mit Humor und dem unvergleichlichen „Bummelton“ eine pointierte Anekdote, einen drastischen Vergleich, wohl auch einmal eine kleine Frivolität, oft genug aber auch einen ausgefeilten essayistischen Exkurs an.
Der faszinierend saloppe „Bummelton“ scheint dabei Ausdruck eines frisch drauflos schreibenden Naturtalents zu sein, aber dieser Schein trügt, und was sich da so ungezwungen gibt, ist oft genug das Ergebnis intensiver schriftstellerischer Arbeit. „Sie mögen daraus ersehen“, erklärte Fontane einmal im Hinblick auf seine Theaterrezensionen, „daß ich es nicht leicht nehme und mitunter da, wo das Publikum glaubt, ich kalauere oder mache einen Bummelwitz, am allerwenigsten.“ Dieses Wort gilt auch für die Briefe. Sicher weniger für die Familienbriefe, sehr häufig indessen für die Briefe an Freunde und Bekannte. Entwürfe, die sich zufällig erhalten haben, bestätigen anschaulich Fontanes Aussage. Noch im hohen Alter und selbst bei langjährigen Korrespondenzpartnern konzipierte Fontane viele seiner Briefe, ehe er ihnen, wie er zu sagen pflegte, den Stil anputzte. Das Fontane-Archiv besitzt ein überaus eindrucksvolles Dokument dieser Art in dem Entwurf eines Briefes an Paul Heyse: Das Brouillon unterscheidet sich in nichts von einer Seite Romanmanuskript, es ist durchkorrigiert, als sei es zur Veröffentlichung bestimmt. Fontane fühlte sich verpflichtet, auch seinen Briefen letzten literarischen Schliff und aparte Form zu geben.
Mit guten Gründen bezeichnete Fontane seine Briefe gern als „Manuskripte“, als „kleine literarische Arbeiten“, und was sind sie in ihrer Mehrzahl anderes als köstliche Brief-Kunstwerke, als stilistische Kabinettstücke? Sie besitzen literarischen Eigenwert, sind Teil des künstlerischen Gesamtwerks und gehören zum Schönsten, was die deutsche, ja die europäische Briefliteratur hervorgebracht hat. Und was Fontane zu Lebzeiten mit seinen Romanen meist nicht beschieden war, das erreichten die Familienbriefe: sie brachten es in wenigen Jahren auf zahlreiche Auflagen. Fontane verschenkte mit seinen Briefen tatsächlich kleine Kunstwerke, und er bekannte sich freudig zu dieser altmodischen „Form der Briefschreibung“. „Die Leute von heut sind lukrativer“, schrieb er am 6. Oktober 1853 an Theodor Storm; „wenn man sich derlei Dinge zurechtgelegt hat, so macht man einen Aufsatz daraus, den man sich mit zehn Talern preußisch bezahlen läßt.“ Fontane hatte die zehn Taler preußisch mehr als einmal dringend gebraucht, und mit seinen Briefen ist ihm sozusagen ein Vermögen durch die Lappen gegangen. Doch dies kümmerte ihn wenig; er war ein Fanatiker des Briefes, und den Briefen konnte er an Substanz nichts abknapsen. „Talent epistolaire oblige“, war sein Wahlspruch, das Briefschreibetalent verpflichtet, und
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