so ließ er sich immer wieder hinreißen, über einen simplen Fakt zu reflektieren, eine Banalität durch Assoziation aufzuwerten, kurzum, etwas Originelles zur schriftlichen Unterhaltung beizusteuem.
Freilich engagierte ihn, wie er gestand, jeder kleine Diput im Sprechen wie im Schreiben vollständig, nahm selbst von seinen Sinnen Besitz und ließ ihn kaum sehen, ob sein Partner noch dasaß oder sich schon zum Gehen anschickte. Und so verplauderte er sich denn mit größter Regelmäßigkeit, schrieb acht oder zwölf Seiten lange Briefe und brachte die „Hauptsadie“ — eine Anfrage, eine Auskunft — nur mit Mühe und für den Adressaten kaum zu entziffern auf den Rändern seiner Briefe unter.
An dieser überaus rationellen Nutzung des Papiers sind eigentlich die meisten Briefe Theodor Fontanes leicht zu erkennen. Kaum ein zweiter beherrschte so virtuos die Kunst, auf Briefrändem zu schreiben. Mitunter scheint er seine Zeilen absichtlich schmal gehalten zu haben, um besonders breite Ränder zu erzielen, ja, es gibt Briefe, in denen der Text auf dem Rande genauso umfangreich ist wie der auf der Mitte des Bogens. Fontane entwickelte eine regelrechte. Architektur der Randbeschriftung, die man genau kennen muß, um den Text hintereinander lesen zu können.
Die Seiten werden zunächst normal beschrieben, danach beginnt er bei der jeweils letzten Seite die linken Ränder quer zu benutzen, bis er wieder auf der ersten Seite ankommt. Da dieser Querrand nur selten ausreicht, wird der Brief nun noch um 180 Grad gedreht und der freie Raum am Briefkopf mit zwei Schriftblöcken gefüllt, in deren Trichter Anrede und Datum hoffnungslos verschwinden. Wenn auch dies noch nicht ausreicht, kommen die oberen Ränder der Innenseiten an die Reihe oder — der Dichter entschließt sich, doch noch einen neuen Bogen anzufangen.
Eine ganz besondere Leistung dieser Art ist für mich immer wieder der Brief an Wilhelm Hertz vom 17. Juni 1866, dessen Schluß an nicht weniger als sechs verschiedenen Stellen des Briefkopfes untergebracht ist. Freilich ist dieser Brief ausnahmsweise auch mit Bleistift niedergeschrieben und deshalb sozusagen nicht „echt“. Denn Briefe — und natürlich auch Manuskripte — schrieb Fontane nur mit Schwanenfedern, die der Geheime Expeditionssekretär des Königlichen Hofjagdamtes August Peege ihm lieferte und die er sich bis ins Alter selbst sorgfältig zu schneiden pflegte. Und aus diesen Federn floß jene schwungvolle und verschnörkelte Handschrift, die seine Briefe auch kalligraphisch so attraktiv machen, nicht zuletzt dann, wenn die Ränder einmal zufällig frei blieben.
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