Heft 
(1968) 7
Seite
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gebend, jedem andern historischen Stoff vor. All meine geschichtliche Schreiberei auch in den Kriegsbüchem stützt sich im besten und wesent­lichen immer auf Briefe. Dieses Bekenntnis ist leicht nachzuprüfen. Ein Blick in dieWanderungen durch die Mark Brandenburg über­zeugt, wie oft sich der Autor auf briefliche Zeugnisse stützt, wie oft er Briefe, die er aufgefunden, abdruckt. Aber auch für sein Romanwerk waren ihm Briefe unentbehrlich. Im Dezember 1865, während der Vor­bereitungen zu seinem ersten Roman,Vor dem Sturm, schreibt er an Friedrich Wilhelm Holtze:Alles Biographische wäre mir sehr will­kommen; doch mache ich mir wenig aus den Biographien der Berühmt­heiten und ziehe die Biographien verhältnismäßig kleiner Leute (Bio­graphien, die allerdings sehr rar sind) weit vor... Briefe, die damals von in Berlin und in der Mark lebenden Leuten geschrieben wurden, würden mein bestes Material sein. Und Briefe, eigene wie fremde, waren tatsächlich sein bestes Material. Man muß einmal verfolgen, wie Fontanes Briefe aus Thale an seine Frau bis in wörtliche Formulierun­gen in seinen RomanCecile eingegangen sind oder wie der Dichter die Fabel fürUnwiederbringlich dem Brief einer Geheimrätin Brunne- mann entnimmt. Interessant ist aber auch, die sozusagen dramaturgische Funktion von eingestreuten Briefen in den Romanen selbst zu beob­achten und zu analysieren. Diese Briefeinlagen sind nie Verlegenheits­lösungen, sondern stets bewußte Kunstgriffe. Man denke an die beiden resümierenden Briefe inSchach von Wuthenow, die im kunstvoll ge­führten Spiel der Meinungen über den Fall Schach das Schlußwort sprechen, oder man erinnere sich an das 35. Kapitel vonEffi Briest, wo in der Konfrontation des ministeriellen Ernennungsschreibens mit dem treuherzigen, menschlich so stark berührenden Brief der Roswitha Gellenhagen, die um den Hund Rollo bittet, die ganze Problematik des Romans noch einmal deutlich wird und Instetten und Wüllersdorf nach Lektüre des Briefes sich zu dem Bekenntnis durchringen:... die ist uns über.

Wir verstehen jetzt, warum Fontane Briefe jedem anderen historischen Stoff vorzog, und wir dürfen uns getrost seiner Praxis anschließen, dür­fen seinen Briefen den Vorzug vor allen anderen autobiographischen Dokumenten geben oder sie doch als überaus wertvolle Ergänzung be­trachten. Seine Autobiographien retuschieren manches aus der Rück­schau, und ohnehin erfassen sie nur die frühen Jahre. Die Briefe hin­gegen vermitteln ein Persönlichkeitsbild von imposanter Farbigkeit und faszinierender Plastizität, das Bild eines Lebens, in dem sich zugleich die Geschichte eines halben Jahrhunderts spiegelt. Fontanes Briefe kommen­tieren mit persönlichem Engagement die gesellschaftliche Entwicklung, und sie sind ein unausschöpfbares Kompendium von Urteilen und Charakteristiken über Zeitgenossen aus Politik und Kultur.

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