in diesen Positionen regelmäßige Einnahmen, materielle Sicherheit und nicht zuletzt Erhöhung des Sozialprestiges gesehen, und es bedurfte vieler, vieler Briefe, um sie zu überzeugen, daß „es damit nichts sei“. — Ich muß es mit diesen Andeutungen bewenden lassen, will aber noch einen Brief einschalten, der charakteristisch ist für die Atmosphäre im Hause Fontane. Am 9. August 1874 schreibt Fontane an Emilie Zöllner: „Ich habe aber noch einen zweiten Grund, weshalb ich schreibe, den wichtigeren, das Schweigen meiner Frau zu entschuldigen. Sie ist seit über 8 Tagen krank. Die ersten 3 Tage nahm ich es als eine jener landläufigen Verstimmungen, die den Krokodilpanzer meines Gleichmuts nicht mehr durchstechen, bis ich am 4. Tage gewahr wurde, daß der Wind ernstlicher blies. Ich zog also den Ehemann aus und den Doktor an und bin endlich heute, mit Hilfe .höllischer Latwergen 1 , des bösen Feindes Herr geworden. Sie ist aber immer noch angegriffen, und zwar echt und wirklich. Man muß dies eigens hervorheben, denn es ist dies eins der ältesten Gebiete, auf denen der Kampf zwischen Idealismus und Realismus tobt. Es gibt, schlecht gerechnet, ebenso viele falsche Migräne wie falsche Zöpfe. Und das will was sagen.“
An solchen Bemerkungen besticht immer wieder die Unvoreingenommenheit und die Offenheit, mit der Fontane sich selbst und seine Welt sieht. Diese Eigenschaften, die mit Gefühlskälte nichts zu tun haben, machen Fontanes Briefe vor allem als Spiegel seiner politischen Entwicklung außerordentlich aufschlußreich. Er hat sich darin — um sein Wort zu wiederholen — stets gründlich „ausräsoniert“, oft gründlicher, als es bis jetzt bekannt ist. In den vierziger und den frühen fünfziger Jahren empfing Bernhard von Lepel die politischen Bekenntnisse, in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre trat das Ehepaar Merckel an Lepels Stelle. Nach 1870 übernahm das Dobbertiner Stiftsfräulein Mathilde von Rohr mehr und mehr die Rolle des Bedchtpartners. Seit 1884 entwickelte sich dann die große politische Essayistik in den Briefen an Friedlaender, und in den letzten Lebensjahren vertraute der Dichter vor allem dem Londoner Arzt James Morris, einem Bekannten aus alten England-Tagen, seine in langen Jahren gereiften Ansichten an. All diese Briefe erweisen eine überraschende Kontinuität seiner Entwicklung und rücken die oft rigoros vorgenommene Trennung von „jungem“ und „altem“ Fontane in ein neues Licht. Man muß einmal, um auch hier nur ein Beispiel herauszugreifen, jenen Brief an Henriette von Merckel über den Sepoy-Aufstand in Indien mit den Briefen an den Londoner Arzt James Morris aus den Jahren 1896/97 über den Kolonialismus vergleichen. „Man hat ein Volk, das, in ähnlicher Weise wie die Italiener, Anspruch auf unsre Sympathien, auf Bewunderung seiner hohen Geistesgaben hat, oft mit Brutalität, immer aber mit stupider Selbstüberschätzung niedergetreten, und ich freue mich stets, wenn in Fällen solcher
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