aus der Kenntnis beider zu bestimmen. Man braucht nur die Briefe zu verfolgen, die Fontane in über vierzig Jahren an seinen alten Tunnel- Genossen Paul Heyse schrieb: sie alle sind in der taktvoll, aber bestimmt formulierten Kritik an dem Münchener Epigonen eine resolute Verteidigung des Realismus. „Wir sehen die Welt mit ganz verschiedenen Augen an“, schrieb Fontane am 9. Dezember 1878, und zu seiner Sicht der Dinge, die ihn über Jahrzehnte hinweg mit uns verbindet, hat er sich stets unumwunden bekannt. Auch als sich der Siebzigjährige für die naturalistischen Schriftsteller, vor allem für den „Räuber-Hauptmann der schwarzen Realistenbande“, engagierte, tat er das mit allem Nachdruck und stand selbst Heyse gegenüber, der mit der jungen Generation absolut nichts im Sinn hatte, zu seinem „Sündenfall“.
Diese wenigen Bemerkungen über die Brillanz der Form und die Vielfalt der Themen mögen andeuten, welch fündige Quelle im Briefwerk des Dichters anzuschlagen ist, eines Werkes, das bedauerlicherweise nur höchst unvollkommen zugänglich ist. Ich muß an dieser Stelle in den Becher des Vergnügens, das die Lektüre der Briefe bereitet, den Wermut philologischer Kritik gießen. Denn von ganz wenigen Briefeditionen abgesehen, die ohnehin nicht allgemein verfügbar sind, bieten die bekannten und ab und zu im Antiquariat auch angebotenen Ausgaben der Familien- und Freundesbriefe einen Text, der in allzuvielen Fällen mit dem jeweiligen Original nur bedingte Ähnlichkeit hat. Hans-Heinrich Reuter hat 1961 als erster auf diese erschreckende Tatsache hingewiesen und die beiden Sammlungen der Familienbriefe von 1905 und 1937 nachdrücklich als „wissenschaftlich wertlos“ bezeichnet. Ja, sie sind im Grunde auch für den nicht wissenschaftlich interessierten Freund Fontanes wertlos; denn die Herausgeber haben in einer Weise in den Wortlaut eingegriffen, die die briefkünstlerischen Intentionen des Dichters praktisch annulliert. Zunächst einmal wurden die Briefe erbarmungslos zusammengestrichen, oft um die Hälfte, oft um zwei Drittel gekürzt. Weggelassen wurden alle Passagen, die die Editoren aus familienpolitischen Gründen für „bedenklich“ hielten oder die kritische Äußerungen über Zeit und Zeitgenossen enthielten. Diese Rücksichten sind bis zu einem gewissen Grade verständlich, denn die erste Sammlung erschien nur sechs Jahre nach Fontanes Tod, und wie beispielsweise eine Korrespondenz zwischen Martha Fontane und Fritz Mauthner aus dem Jahre 1904 zeigt, wurden die Herausgeber von bestimmter Seite unter ziemlich massiven Druck gesetzt. Wenn die genannten Auslassungen indes allenfalls erklärbar sind, so lassen sich die weiteren Eingriffe freilich nicht entschuldigen. Eingriffe in Stil und Diktion nämlich. Ferner wurden, von den Streichungen verursacht, resümierende Überleitungssätze dazugeschrieben, ja in einzelnen Fällen sogar aus verschiedenen Briefteilen neue Briefe mit eigenem Datum zusammengestellt. Die Briefkopien, die im