Heft 
(1968) 7
Seite
327
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Fontane-Archiv aufbewahrt werden und die seinerzeit als Druckvorlagen verwendet worden sind, weisen eine Fülle von handschriftlichen Rand­bemerkungen der Herausgeber auf, aus denen sich die editorisehen Mani­pulationen rekonstruieren lassen. So findet sich auf der Abschrift des Briefes an Emilie Fontane vom 24. August 1863 von Friedrich Fontanes Hand folgende Notiz:... es ist soviel Stoff vorhanden, daß ein neuer, zweiter Brief vom 24. 8. 63 entstehen könnte, der, den ersten ergänzend, sich würdig an diesen stellen ließe. Daran schließt sich eine Bemerkung zur Kopie des Briefes vom 30. August:Das wäre ein brillanter Schluß für den von mir vorgeschlagenen neuen Brief vom 24. 8. 63.

So also ist man mit den von Fontane bewußt komponierten Briefen umgesprungen, mit den Briefen eines Autors, der von sich bekannt hat, daß er in seinen Arbeitenexakt bis zum Peinlichen und meinetwegen Kleinlichen sei.

Leider gilt das, was Reuter vor einigen Jahren bei den Familienbriefen festgestellt hat, in ähnlichem Maße für die Freundesbriefe. Auch hier ist der Text durch rigorose Streichungen verstümmelt, durch Verschlüsse­lungen und Korrekturen entwertet. Ich muß mich auf wenige, allerdings typische Beispiele beschränken. Im Brief an Georg von Graevenitz vom 9. Juli 1891 über Wildenbruchs Dramatik heißt es in den Freundesbriefen von 1910:Kolossale Liebedienerei, die sich widerwärtig durch unsre ganze miserable Geschichtsschreibung zieht, trägt aber mehr Schuld als Wildenbruch. Fontane hatte dagegen sehr präzise geschrieben:Kolos­sale Liebedienerei gegen die Hohenzollern... Auf höchst bedenkliche Entstellungen stößt man auch in derLetzten Auslese der Freundes­briefe, die 1943 erschien und äußerst selten ist, da fast die gesamte Auf­lage bei einem Bombenangriff in Berlin verbrannte. Ich möchte zunächst auf einen außerordentlich aufschlußreichen Passus hinweisen, den die Herausgeber u. a. aus dem Brief an Wilhelm von Merckel vom 3. Juni 1858 eliminiert haben, um zu demonstrieren, was da alles unterdrückt worden ist. Es geht dabei um Otto Roquette, den Autor des damaligen BestsellersWaldmeisters Brautfahrt, der als Nachfolgekandidat für das Rütli vorgesehen war.

Vielleicht irr ich mich, aber ich habe immer das Gefühl, daß er weniger weiß und kann, als ein gebildeter Mensch heutzutage wissen und können muß. Er hat sich in seine kleine Welt eingesponnen und von der großen Welt da draußen weniger Notiz genommen als recht und billig wäre. Ich denke dabei nicht bloß an Politik. Paul Heyse kümmert sich ebenso­wenig um politische Dinge wie Roquette und weiß von der Geschichte der letzten 300 Jahre ebenfalls herzlich wenig, aber von Natur geistreich, schnell auffassend und durch umfassende literarische Studien wenigstens mittelbar mit hundert Fragen des Leben in stete Berührung gebracht,