Heft 
(1968) 7
Seite
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richtig sieht, erscheint der Begriff nicht ein einziges Mal bei B.; die weitgespannte, immer wieder aufgegriffene Auskultation der Fontane- schen Kategorie derVerklärung (S. 39 ff., 106, 181) kommt kaum glaublich völlig ohne ihn aus; die Einsicht in dasTransparentmadien der bloßen Wirklichkeit auf ihren menschlichen Gehalt hin (S. 40, 41) biegt ab, ehe das entscheidende Wort fällt; ja, ungenannt wird das Sym­bol anläßlich vonLAdultera alsSchwäche undfragwürdige poe­tische Technik (S. 140 f.) preisgegeben. Kein Zweifel:Zwiespältigkeit, Widerspruch undDiskrepanz werden von B. mehr bestaunt, fast beklagt, als bejubelt; eine vordergründig engagierte,zornige Roman­kunst fügte sich seinem ethischen Rigorismus leichter ein. So aber scheinen für ihn im letzten der tendenziöse Briefschreiber und der untendenziöse Romancier (S. 192) zwei ganz verschiedenen Arten der Gattung animal sociale anzugehören, was übrigens nicht einmal dann stimmt, wenn man innerhalb von B.s linearem Gleichungsansatz bleibt (Zweck vonFrau Jenny Treibei: Brief vom 9. 5. 1888;Tendenz vonStorch von Adebar: Brief vom 24. 6. 1881; über den Bourgeois und seine notwendigeAbschaffung im 14. und 18.Stechlin-Kapitel; über dieunbeschreiblich schöne Vorstellung,daß ... ein Lied eine politische Tat geweckt oder gezeitigt habe, im 12. Kapitel derKinderjahre usw. usw.).

B. beschäftigt sich ausschließlich mit dem alten Fontane und seinem Romanwerk (die Einbeziehung dertendenziösen Alterslyrik hätte heu­ristische Dienste leisten können). Realismus, Sittlichkeit und Humanität, die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung in Zeit und Gesellschaft sind die immer von neuem variierten Themen. Die einzelnen Kapitel gehen komplex ineinander über, überlagern sich, ja schließen sich fast zu einem Kreis, dessen letzte Antwort nicht allzu weit von der ersten Frage steht. Nur wenn sich der Leser in diesen (abermals: auf Entwicklung verzich­tenden) Zirkel einspannen läßt, vermag er zu profitieren; es ist das Schwere, von dem die Rede war. Fontane profitiert jedenfalls, mit ihm die Forschung. Ausschließlich und immer ist er das Zentrum; kein ein­ziger Exkurs, kaum eine kleine Abschweifung.

Überrealistische Situationsethik (eine echt B.sche Fügung) undperso- nalistische Moral wird anhand des großen Dialoges Innstetten-Wüllers- dorf scharfsinnig gehandelt (S. 8794) und andernorts über dieAktuali­sierung von Freiheit und Humanem (S. 113 f., 1211); über den Humor fallen gewichtige (philosophisch noch mehr als poetisch relevante) Sätze, fast zuschwer für Fontane (S. 125, 151 ff.); insbesondere demGe­spräch als menschlicher Realität und alsdialektischem Weg, an dessen Ende die Entscheidung steht, wird eine Untersuchung gewidmet, der die bisherige Forschung nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen hat (S. 127154; vergl. S. 181186). B. hat festesten Boden unter den Füßen.

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