richtig sieht, erscheint der Begriff nicht ein einziges Mal bei B.; die weitgespannte, immer wieder aufgegriffene Auskultation der Fontane- schen Kategorie der „Verklärung“ (S. 39 ff., 106, 181) kommt — kaum glaublich — völlig ohne ihn aus; die Einsicht in das „Transparentmadien der bloßen Wirklichkeit auf ihren menschlichen Gehalt hin“ (S. 40, 41) biegt ab, ehe das entscheidende Wort fällt; ja, ungenannt wird das Symbol anläßlich von „L’Adultera“ als „Schwäche“ und „fragwürdige poetische Technik“ (S. 140 f.) preisgegeben. Kein Zweifel: „Zwiespältigkeit“, „Widerspruch“ und „Diskrepanz“ werden von B. mehr bestaunt, fast beklagt, als bejubelt; eine vordergründig engagierte, „zornige“ Romankunst fügte sich seinem ethischen Rigorismus leichter ein. So aber scheinen für ihn im letzten der tendenziöse Briefschreiber und der „untendenziöse“ Romancier (S. 192) zwei ganz verschiedenen Arten der Gattung animal sociale anzugehören, was übrigens nicht einmal dann stimmt, wenn man innerhalb von B.s linearem Gleichungsansatz bleibt („Zweck“ von „Frau Jenny Treibei“: Brief vom 9. 5. 1888; „Tendenz“ von „Storch von Adebar“: Brief vom 24. 6. 1881; über den Bourgeois und seine notwendige „Abschaffung“ im 14. und 18. „Stechlin“-Kapitel; über die „unbeschreiblich schöne“ Vorstellung, „daß ... ein Lied eine politische Tat geweckt oder gezeitigt habe“, im 12. Kapitel der „Kinderjahre“ usw. usw.).
B. beschäftigt sich ausschließlich mit dem alten Fontane und seinem Romanwerk (die Einbeziehung der „tendenziösen“ Alterslyrik hätte heuristische Dienste leisten können). Realismus, Sittlichkeit und Humanität, die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung in Zeit und Gesellschaft sind die immer von neuem variierten Themen. Die einzelnen Kapitel gehen komplex ineinander über, überlagern sich, ja schließen sich fast zu einem Kreis, dessen letzte Antwort nicht allzu weit von der ersten Frage steht. Nur wenn sich der Leser in diesen (abermals: auf Entwicklung verzichtenden) Zirkel einspannen läßt, vermag er zu profitieren; es ist das Schwere, von dem die Rede war. Fontane profitiert jedenfalls, mit ihm die Forschung. Ausschließlich und immer ist er das Zentrum; kein einziger Exkurs, kaum eine kleine Abschweifung.
Über „realistische Situationsethik“ (eine echt B.sche Fügung) und „perso- nalistische Moral“ wird anhand des großen Dialoges Innstetten-Wüllers- dorf scharfsinnig gehandelt (S. 87—94) und andernorts über die „Aktualisierung von Freiheit und Humanem“ (S. 113 f., 1211); über den Humor fallen gewichtige (philosophisch noch mehr als poetisch relevante) Sätze, fast zu „schwer“ für Fontane (S. 125, 151 ff.); insbesondere dem „Gespräch als menschlicher Realität“ und als „dialektischem Weg“, an dessen Ende die Entscheidung steht, wird eine Untersuchung gewidmet, der die bisherige Forschung nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen hat (S. 127—154; vergl. S. 181—186). B. hat festesten Boden unter den Füßen.
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