Heft 
(1885) 27
Seite
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Die Erbtante von Johannes van Dewall.

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Sie hatten sich Beide im Unglück einst gefunden und hatten sich fest aneinander angeschlossen, die schalkhafte Marie an die energischere und lebens­klügere Elisabeth. Etliche Jahre waren sie schwesterlich mitsammen dieselbe Straße gezogen, hatten dieselbe Unbill gelitten im Leben, denselben Stürmen getrotzt, hatten sich gegenseitig gestützt und getröstet und waren dann getrennt worden durch die Verhältnisse, da eine Jede von ihnen sich selbst ihr Brod suchen mußte.

Marie hatte ihre kleine Geschichte bald beendet: von der Theaterschule fort, war sie in Wien ge­blieben. Ausgestattet mit hinreichendem Talent und einem hübschen Aeußern, hatte sie es versucht, in der österreichischen Hauptstadt Karriere zu machen, dann, als sie die Klippen und Widerwärtigkeiten in ihrem Beruf zuletzt mürbe und lebenssatt gemacht, hatte sie der Bühne entsagt und dann eine Weile in Brünn bei Verwandten gewohnt, sich durch Stundengeben ihr Dasein fristend. Später war die Liebe zur Kunst wieder mächtig in ihr erwacht; sie hatte es noch einmal versucht, den Fuß auf die Bretter zu setzen. Sie hatte Gönner und Freunde gefunden, die sie stützten und ermnthigten, sie hatte jetzt einen moralischen Halt, außerdem an ihren Verwandten und an den Familien ihrer Schülerinnen, an diesen selbst, sie gefiel dem Publikum, sie erntete Beifall, auch das Unedle wagte sich nicht mehr so zudringlich an sie heran; sie fühlte, daß auch ein anständiges Mädchen unbefleckt den oftmals schwierigen Weg zu wandern vermochte sie war geblieben und es ging ihr gut, das Leben lächelte ihr freundlich seitdem, zum ersten Male wieder seit der Stunde, wo man ihren Vater begrub, vor sieben Jahren, der österreichischer Offizier gewesen war und sie mit der harten Stiefmutter damals allein zurückließ.

Sie hatte jetzt Ferien, das traf sich glücklich, lieber Wien hatten sie die Briefe der Freundin, die überraschenden, auf langen Umwegen gefunden, denn sie war bislang bei Bekannten aus deren Landsitz in Mähren gewesen, augenblicklich hatte sie sich aus­gemacht und war dem Rufe gefolgt.

Elisabeth umarmte sie zärtlich; sie sahen sich tief in die Augen, als wollte Eine der Andern bis aus den Grund des Herzens blicken, dann küßten sie sich noch einmal und drückten sich die Hände.

Du Glückliche!" sprach Elisabeth,Du hast einen warmen, behaglichen Winkel gesunden. Du stehst auf eigenen Füßen und das Leben liegt klar und deutlich vor Dir."

Sie sah nachdenklich vor sich hin, während Marie sie lächelnd und ein wenig verwundert anschaute.

Ja das sagst Du?" ries sie,Du Kind Fortunens, der ein solches ungemessenes Vermögen über Nacht in den Schooß fiel?"

Elisabeth schüttelte langsam das Haupt.

Geld ist ein Segen und eine Macht, aber auch eine schwere Bürde, Marie! Du darfst mir glauben, Du zogst das bessere Loos von uns Beiden."

Fürwahr, das klingt ganz wunderbar melan­cholisch! Ich meine, es gäbe genug edle Menschen, welche Dir gern diese schwere Last tragen hülfen, oder sie Dir ganz abnähmen."

Das ist es eben, das ist die Schattenseite,

Marie. Seit ich im Besitz bin, recken sich tausend anspruchsvolle Hände mir entgegen, aus Tritt und Schritt verfolgt man mich."

Sie erhob sich, zog eine Schublade auf und ent­nahm derselben eine Anzahl von Briefen.

An Lady Macduff? ... An Madame Be­gum? ... Was soll das heißen? ... An Lady Macduff!"

Die junge blonde Künstlerin schaute mit ihren großen, dunkelblauen Augensternen lächelnd und fragend zugleich zu der Freundin auf.

Ich will Dir Alles erklären, mein Liebling," versetzte Jene mit einem seltsamen Schimmer in ihrem Blick,und dann Deinen Rath hören. Streck' Dich bequem hier aus, Du bist angegriffen von der Reise."

O, ich schlafe im Waggon wie ein Dachs."

Immerhin, meine Erzählung ist länger als die Deine, und ich muß von vorn beginnen, damit Du im Stande bist, meine eigentümliche Lage richtig Zu beurtheilen. Ich muß zu Dir sprechen von meinen Kinderjahren, von meinen intimsten Ver­hältnissen."

Viertes Kapitel.

Seit ich denken kann," begann Elisabethweiß ich, daß in unserer Familie eine dunkle, sagenhafte Erbtante ihren Spuk trieb, die uns Alle mit vagen Hoffnungen auf eine dereinstige große Erbschaft er­füllte, Millionen, die plötzlich vom Himmel herunter­fallen würden, die Diesen oder Jenen sogar verführten, darauf los zu sündigen, das heißt, mehr auszugeben, als sie besaßen. Es war etwas Wahres an dieser Legende. Eine Tante meines verstorbenen Vaters war einst als Gouvernante nach Indien gekommen und dort zu Reichthum gelangt. Da deren Lebens­geschichte so ziemlich meiner eigenen gleicht, so er­zähle ich Dir nur die meine.

Ich glaube, die Steinfurts waren immer ein egoistisches, hartes Geschlecht, seit Generationen wenigstens haben dieselben stets in Unfrieden oder Abgeschlossenheit gelebt unter einander.

Als mein Vater starb und mich auf der Welt allein ließ, ohne Vermögen und Stütze, ein junges, rathloses Ding von knapp sechzehn Jahren, da schrieb mein Vormund an die Familie, stellte derselben meine traurige Lage vor und bat, sich der verlassenen Waise anzunehmen.

Ich habe einen Onkel, er hat sich adeln lassen und ist jetzt Präsident, ein gar vornehmer, hochstrebender Herr, der antwortete barsch zurück, er hätte selbst Familie und könnte sich um mich nicht kümmern. Der zweite Bruder meines Vaters, Leopold, ist ein reicher Industrieller, ein Kommerzienrath, der schickte fünfundzwanzig Thaler, ein- für allemal, es heißt, ihn verzehrt die Habsucht, und nur ein Vetter meiner verstorbenen Mutter, der Vaurath Arnstein, der am wenigsten begüterte von Allen, erkundigte sich freund­lich nach mir, sandte hundert Thaler zur Begleichung etwaiger Verbindlichkeiten, und versprach nach Kräften für mich zu sorgen. Er habe einen erwachsenen Sohn daheim, schrieb er, seinen Doktor, und lebe ohne Frau, sonst würde er mir mit Freuden sein Haus öffnen.