Vre Erbtante von Johannes van Dcivatl.
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Wie kommt man überhaupt darauf, Dich bei diesem sonderbaren Namen zu nennend Hast Du den Titel mitgeerbt d"
Elisabeth lächelte beinahe schalkhaft.
„Diese Briefe sind eigentlich nicht an mich," sprach sie etwas zögernd.
„Nicht an Dich? — Ja, an wen denn sonst?"
„Ich will es Dir sagen, am Ende meiner Erzählung."
„So fahre fort, aber schnell!"
„Von England schrieb ich Dir; Du weißt, es ging mir gut, ich ward dort wie ein Glied der Familie betrachtet und hätte sogar Gelegenheit gehabt, mich anständig zu verheirathen. Ich schrieb Dir ebenfalls, daß Mr. Bogham nach Indien versetzt wurde, und daß ich mich aus längeres Zureden entschloß, mit ihnen in dieses Wunderland zu ziehen. Die Londoner Bekannten schilderten mir die Reise als eine Vergnügungsfahrt, die Entfernung als einen Katzensprung und versprachen mir goldene Berge. Es muß wohl ein stiller Hang zum Abenteuerlichen in meinem Blute liegen, Marie, ich sagte zu, ich stürzte mich blindlings in die ungewisse Zukunft, ich hatte ja Boghams und es gibt ja überall gute Menschen, dachte ich.
„Wir gingen nach Calais und fuhren mit der Ueberlandpost durch ganz Deutschland, über die Alpen, durch Italien und schifften uns in Ancona ein. Unser vorläufiger Bestimmungsort war Bombay. Die neuen, großartigen Eindrücke wirkten zuerst fast betäubend auf meine Sinne, im Fluge wechselten die Bilder, eines immer herrlicher als das andere: die blaue See, die zackigen Küsten Dalmatiens, an denen wir hinfuhren, und das Leben auf dem Schiffe, aber bald gewöhnte ich mich, und als die gelbe afrikanische Küste nun in Wirklichkeit vor mir lag, war ich bereits bedeutend abgestumpfter. Wir fuhren in den Hafen von Alexandria.
„Ich entsinne mich heute nur noch des Gewühls am Ufer, vor Allem der Zudringlichkeit des orientalischen Gesindels und der vielen schwarzen Gesichter, die uns begegneten. Eine fast europäisch aussehende Droschke brachte uns nach dem Hotel de l'Europe.
„Wir reisten nicht zu unserem Vergnügen; schon am nächsten Tage flogen wir auf Dampfesflügeln durch die Wüste, an Kairo und den Pyramiden vorüber, an den Dörfern der Fellahs, welche eher wie Termitenhausen aussahen, als wie menschliche Wohnungen, an melancholischen Seen und durch endlosen, aufwirbelnden gelben Sand, eine lange, beschwerliche Fahrt. Ein breiter, tiefblauer Streifen stieg endlich am Horizont heraus, wir näherten uns Suez und dem rothen Meere.
„In dem unmittelbar an der rollenden See gelegenen, höchst eleganten Suezhotel hielten wir kurze Rast; der Besitzer dieses an der größten Weltstraße gelegenen Hauses ist niemand Geringeres als der Vizekönig.
„Der große Dampfer schaukelte sich draußen majestätisch auf der blauen Flut; mit noch etwa hundert anderen Passagieren zusammen bestiegen wir die Boote und fuhren hinüber. Eine Musterung der Reisegesellschaft ergab ein ziemlich befriedigendes
Resultat; es war eine Musterkarte aller Nationen, welche sich hier zusammengefunden hatte. Leider riß die Seekrankheit in den ersten Tagen sehr bedenkliche Lücken, wir waren oft nur zwanzig bis dreißig Personen bei Tisch. Ein alter Holländer mit zwei hübschen blonden Töchtern, ein Kaffeepflanzer aus Java oder Sumatra und einige englische Herren und Damen waren unser hauptsächlicher Umgang, die Verpflegung war anfangs vortrefflich, nahm aber schon in den nächsten Tagen merklich ab, genau in demselben Verhältniß, als die Hitze zunahm; gegen die fast unerträgliche Glut schützten die an der Decke ausgehängten Punkas nur sehr uothdürftig.
„Die Herren tranken viel Grog und spielten Karten, am Abend wurde getanzt, wenn die Witterung es erlaubte, wozu einige Indier musizirten, und dabei zogen in märchenhafter Farbenpracht die wilden Bergkanten Arabiens an uns vorüber.
„Tagelang sahen wir außer dem Wasser nichts als Felseneilande und die zerrissene ferne Küste, schließlich verschwand auch diese. Erst bei der Kaffeestadt Mokka erblickten wir das terrassenförmige, nackte, von der Sonne angeglühte User wieder. Bald hinter der Bab-el-Mandeb-Straße kamen wir nach Aden, legten dort an, um Passagiere einzunehmen, und dampften dann hinaus in den weiten indischen Ozean. Einige wundervolle Abende, wo es nicht wärmer war, als bei uns im Juni, dann stieg der Thermometer plötzlich auf hundertundzehn Grad, eine herzbeklemmende, erdrückende Schwüle herrschte, welche sich Abends häufig in Wetterleuchten Luft machte. Zuletzt ein fliegender Sturm, der uns Alle zwang, tagelang unter Deck Zu bleiben, — eine Qual, von welcher Du Dir schwerlich eine Vorstellung machst, endlich, am neunundzwanzigsten Oktober passtrten wir das Leuchtschiff, nahmen den Lootsen ein und warfen vor Bombay Anker.
„Der Anblick der Riesenstadt mit ihren Pagoden und Kuppeln ist äußerst malerisch und trübte nur die furchtbare Hitze den ersten Eindruck. Ich ging überhaupt die ganzen ersten Tage dort wie eine Verzauberte einher, denn Alles, was ich sah und hörte, war so ganz neu und so ungewöhnlich, daß selbst die ausschweifendste Phantasie eines deutschen Fräuleins es nicht auszudenken vermag.
„Herr Bogham, welcher früher schon einmal in Indien gewesen war, that ganz wie zu Hause: er führte uns nach dem Hotel, brachte uns dort sicher unter und sandte dann sofort einen Kommissionär aus, um für uns eine passende Wohnung zu suchen. — Wie ich erschrak, als ich die Masse der nackten, braunen und bis in's Grünliche schillernden Kerle gewahrte, welche die Dienste der Kellner und Hausburschen dort verrichten! Mit fast nichts Anderem bekleidet, als einem Sarong, einem langen Kittel aus starkem Baumwollenzeug, saßen wir Frauen, ohne uns zu regen, in den unerträglich heißen Zimmern, welche nur durch hölzerne Rahmen, mit grober, tapezirter Leinwand beklebt, von den Nachbarräumen getrennt waren; nicht einmal Glasscheiben, nur Läden gab es vor den sogenannten Fenstern, es existirte auch weder ein Schrank, noch eine Kommode, dieselben würden nur ebensoviele Aufenthaltsorte für