Heft 
(1885) 27
Seite
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Deutsche Noman-Bibliothek.

allerhand Ungeziefer sein. Lebhafte grüne Eidechsen liefen uns über Gesicht und Hände.

Herr Bogham fand bald, was er suchte, ein hübsches Landhaus nahe der Festung, wohin sein Dienst ihn rief, unfern der See; dort rüsteten wir uns nebst einem für europäische Begriffe geradezu fabelhaften Troß von Dienerschaft ein. Von den zwanzig oder vierundzwanzig Menschen kamen vier allein auf meine Person.

Ich würde Dir nun gern von all' dem Wunder­baren ausführlich erzählen, was ich sah, von der Stadt, der Bevölkerung, den dortigen Sitten und der Pracht, von unseren Fahrten auf dem Meere und Ausflügen nach der älteren Stadt, in welcher die Eingeborenen und die asiatischen Kaufleute wohnen und in der die Bevölkerung trotz des mörderischen Klimas enger zusammengedrängt lebt, als in den schlechtesten Theilen von Paris oder London, das Alles behalte ich mir für ein späteres Aussprechen vor, auch von der fast permanenten Betrunkenheit der englischen Soldaten und Offiziere schweige ich lieber, denn das liegt im Klima, wie man mir sagte, und der Arak ist billig.

Ich erinnere mich noch eines Mr. Somerville, Kapitän in einem der dortigen europäischen Regimenter, eines großen, schönen Mannes, dem die rothe Uniform ausgezeichnet stand, und welcher trotz der Hitze es nicht verschmähte, mir den Hof zu machen. Ich fand nachher Mancherlei erklärlich und entschuldbar, Kapitän Somerville konnte nämlich nur noch gehen und sprechen, wenn er vorher mehrere Gläser starker Spirituosen eingenommen hatte, ohne diesen Ballast war er ein lebloses Wrack. Er starb später am Delirium tremens; sie hatten ihn nach Europa zurückschicken wollen, leider ein wenig zu spät, und so trank er sich zu todt."

Entsetzlich!"

Ja, dieses schöne Zauberland dort ist fast ein einziger großer Kirchhof! Es war eine eigenthümliche Existenz, welche wir führten, ein Pflanzenleben, ein Vegetiren, denn die große Hitze macht Einen völlig unfähig zu jeder, auch der kleinsten Thätigkeit, selbst die eingeborene Dienerschaft theilt diese Trägheit in einem so hohen Maße, daß beinahe buchstäblich zwei Menschen an einem Paar Schuhe zu putzen haben. Das Schicksal wollte es, daß Mr. Bogham nach vier Monaten schon nach Kalkutta versetzt wurde und von dort nach wenigen ferneren Monden zu einem Ein­geborenenregiment nach Kampur kam; nun kommt der Wendepunkt meines Schicksals.

Die Truppe, Zu der der Gatte meiner Freun­din gehörte, wurde nicht mit der Bahn, sondern per Dampfer befördert; anstatt die Fahrt bis Kalkutta in drei Tagen mit der Eisenbahn zu machen, ge­brauchten wir vierzehn Tage, dafür bekamen wir aber die Wunderinsel Ceylon zu Gesicht, mit dem malerischen Adamspik, und liefen Madras an. Wir erreichten den heiligen Ganges, fuhren durch ein Meer von Schlamm den einen Arm, den Hugly, hinaus, ohne die Ufer desselben zu erblicken, kamen an unzähligen Schiffen, an Leuchtthürmen, Alli­gatoren, Wracks und treibenden Leichen vorüber, durchliefen dann eine unbeschreiblich schöne und üppige

Vegetation und erreichten schließlich die Stadt der Paläste.

Nichts Bezaubernderes, die Sinne Benehmenderes gibt es aus der Welt, als dieses Gemisch von Pracht­bauten und Blumen in Kalkutta, doch abermals lege ich mir Schweigen auf und fahre fort zu erzählen, wie es mir weiter erging.

Ich kann nicht sagen: wir waren dort kaum warm geworden, denn das wäre grausame Ironie, also wir hatten uns kaum dort ausgeruht, als die Ordre kam, nach Kampur zu gehen, weiter hinauf nach dem Norden, näher zum Himalayagebirge, in ein gesünderes, menschenwürdigeres Klima.

Im Buche des Schicksals stand es geschrieben, ich sollte jenen Ort nimmer erreichen!

Dieses Mal benützten wir die Eisenbahn, durch große Waldungen von Fächerpalmen und Bananen, später durch weite, mit hohem, bewegungslosem Rohr bestandene Sumpfflächen jagten wir dahin in den leichten offenen Wagen. Dann wurde das Terrain etwas höher, Zuckerrohrpflanzungen und Baumwollen- selder begleiteten uns mit weißen Blüten rechts und links, dann wieder Moräste, von bunten, hohen Vögeln bevölkert, dann ein Fluß, eine donnernde Brücke, dann wieder Wald und Feld, dann etliche ärmliche Hütten, eine Kohlen- oder Wafferstation.

Wieder lange Brücken, ein Zug von Elephanten, der dicht an der Bahn vorüber kam, wir hielten an, wir waren in Burdwan. Hinter diesem Orte begann sich in der Ferne ein langgestreckter dunkel­blauer Streifen zu zeigen, das Vorgebirge. Die Nacht brach herein es wurde mehrere Male ge­halten unterwegs, gegen Morgen erreichten wir Patna; dort waren wir gezwungen zu rasten.

In dem Hotel, in welches wir uns begaben, ein ärmliches, baufälliges Nest, welches ein Hiudo- staner unterhielt, fanden wir nur nothdürftig Unter­kommen, der braune Wirth erklärte uns in Ziemlich geläufigem Englisch, eine vornehme kranke Dame hätte beinahe das ganze Haus mit Beschlag belegt, die Gattin eines hochgestellten Offiziers, welche aus der Reise erkrankt sei.

Ein tiefes Seufzen und Stöhnen, welches wir durch die dünnen Wände hindurch nur zu deutlich vernahmen, ließ an der Wahrheit dieser unangenehmen Mittheilung nicht zweifeln. Mitleid mit der Kranken veranlaßte uns, derselben unsere Dienste auzubieten. Mrs. Bogham hatte mit den Kindern zu thun, ich begab mich hinüber in das Zimmer, in welchem die Dame lag.

Ein höchst seltsamer Anblick wartete meiner. Es war mitten in der Nacht, wie erwähnt, auf einem Ruhebett lag eine dicke, unförmige Masse, deren Aechzen lauter wurde, als ich hereintrat. Bei dem Lichte einer Art von Lampe, welche Hunderte von Insekten und Nachtvögeln umschwirrten, bemerkte ich einen nackten Hindukuaben, am Boden sitzend, aus einem schmalen Brett, welches über einen Waffer- kübel gelegt war (ein sehr gebräuchliches Mittel dort, um die Betreffenden am Einschlafen zu hindern) und geduldig die große Punka bewegend in regelmäßigen Zügen, welche der Kranken Luft zufächelten.

Du mußt nämlich wissen, daß in Patna die