Heft 
(1885) 27
Seite
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Die Erbtante von Johannes van Dervatl.

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Hitze noch größer ist als in Bengalen und im Ganges­thal, weil der Einfluß der See dort nicht ermäßigend wirkt.

Seitwärts jener Masse kauerte ein Zartes Hindu­mädchen, deren sanfte Rehaugen die Fremde auf­merksam beobachteten, aus einem Nebentische standen Flaschen und Gläser, überall im Zimmer zerstreut lagen Koffer, Taschen und Kleidungsstücke.

Es herrschte eine fast unerträgliche Schwüle in dem engen Gemach, welche noch lästiger auf die Sinne und Athmungsorgane wirkte, weil dieselbe stark von Branntwein durchduftet war.

Du lächelst ungläubigd Ich versichere Dich, Marie, in jenem mörderischen Klima würdest Du darin nichts Besonderes finden: der brennende Durst verlangt ein häufiges Trinken, das Wasser aber er­schlafft den Magen und man empfindet einen gerade­zu leidenschaftlichen Drang nach etwas Herzstärkendem, Anregendem für die erschlafften Nerven. Man beginnt mit Wein, mit Bier und mit Champagner, um bald zu finden, daß auch diese nicht mehr ge­nügen, nun greift man Zum Brandy dem balk aoä bakk, bis des Wassers immer weniger wird und der Gin oder Rum ganz die Oberhand be­kommen; es ist das ebenso furchtbar wie wahr.

Doch zurück zu meiner Kranken.

,Sie sind sehr gütig. Miß oder Madame, daß Sie sich um mich bemühen/ sprach wie aus dem Grabe heraus eine matte und doch dabei seltsam rauhe und tiefe Stimme, und eine Hand machte einige Anstrengungen, um aus dem Gcwirre von Musselin und Flanell sich herauszurecken.

Daß ich's kurz mache: ich fand eine bejahrte, unförmig dicke Dame, welche, von rheumatischem Leiden und Asthma schwer geplagt, auf der Reise' nach dem kühleren Norden hier hatte liegen bleiben müssen.

Sie nannte mir ihren Namen, Karoline Macdnff hieß sie, sie sei die Wittwe des Kapitän Macduff, welcher, nachdem er sich hätte pensioniren lassen, um eine vorteilhafte Stelle im Dienste der Compagnie anzunehmen, an der Cholera gestorben sei. Sie wohne in Kalkutta, ziehe aber jedesmal bei Beginn der großen Hitze hinauf in die Berge.

Ein Wink mit dem Kopfe und das Hindu­mädchen trat geräuschlos an den Nebeutisch und reichte ihr das Glas. Sie trank mit einem Schmatzen, gierig (es war balk rmä balk Nam) und fuhr dann fort Zn klagen und zu lamentiren.

Ich saß während der ganzen Zeit, seit ich jenen Namen vernommen hatte, starr, wie Lot's Frau, zu einer Salzsäule geworden da und weiß kaum, wie es möglich war, daß ich trotz dieses Zustandes dennoch Ekel und Mitleid empfinden konnte. So seltsam es auch klingen mag trotzdem ich in Indien war, unter denselben Verhältnissen dort hin- gegangen wie unsere Erbtante, nicht einmal in der ganzen Zeit hatte ich auch nur mit einem Gedanken mich Jener erinnert, und nun in dem weiten, fremden Lande mußte ich ihr hier begegnen, Karoline Macduff, es war kein Zweifel, es war meine Ver­wandte."

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 14.

Du schriebst es mir damals, auch mich dünkte es ein Wunder, oder vielmehr eine Fügung des Himmels."

Die war es in der That! Mit einem nur zu erklärlichen Gefühl der Neugierde und des Staunens, nachdem der erste Schrecken dieser großen Ueberraschung vorüber war, betrachtete ich dieses gedunsene Gesicht da vor mir in dem matten Halblichte und forschte vergebens nach einem bekannten, verwandtschaftlichen Zuge; in dieser rothen, von Tüchern und Binden unordentlich umgebenen Fleischmasse unterschied ich nur ein Paar kleiner, schwimmender Augen und eine schmale Vertiefung den Mund, du lieber Gott! und sie soll einstmals eine Schönheit gewesen sein!

Wäre noch ein Zweifel möglich gewesen, ich vernahm deutsche Laute hier in Patna zum ersten Male wieder, seit ich Alexandria verließ: wenn die Schmerzen sie folterten in den unförmigen Gliedern, stöhnte sie ein ,O Gott!...' oder ein .Barmherzig­keit!' nach dem andern.

Was der Anblick dieser nahen Verwandten nicht zu Wege gebracht hatte, diese deutschen Worte er­griffen mich in der innersten Seele, Thränen traten in meine Augen und ich gab meinem Mitleid Worte, bat sie, nach einem Arzt zu schicken.

Ihre fette, schweißige Hand ergriff die meine und drückte sie lange und fest, dabei begannen ihre verquollenen Aeuglein ängstlich zu funkeln.

.Nein, Kind, keinen Doktor!' sprach sie rasch und leise, .die Doktoren taugen alle nichts, liebe Miß, sie verbieten mir das Trinken und das kann ich nun einmal nicht mehr lassen/

Sie betrachtete mich genauer und fuhr fort:

.Sie trinken nicht, ich sehe es an Ihrem glatten, unschuldigen Gesichte. Ach, wie ich so alt war wie Sie, da trank ich auch noch nicht, aber das Klima und die vielen Reisen, Miß mein Mann war viel auf Reisen und ich mit ihm, da lernte ich das Trinken der Himmel verzeih' mir's und kann's nun nicht wieder lassen... Ich wäre wohl nach Europa zurückgekehrt, als mein Seliger starb, aber es war bereits zu spät, ich hätte die Külte und die Nebel in Deutschland nicht ertragen, ich hatte anch hier eine gar zu große Menge von Geschäften, das Geld stak da und dort und mußte mit Geduld und Klugheit realisirt werden ... überdieß ... in der Heimat, liebes Kind... ich habe dort nichts wie böse, habgierige Verwandte, welche wissen, daß ich zu Geld gekommen bin, und hier Agenten bezahlen, um ihnen Nachrichten zu geben über mich und mein Geld, die mich umgebracht hätten, hätte ich einen Fuß auf deutsche Erde gesetzt/

.Madame sind eine Deutsche?' fragte ich, fest entschlossen, mich ihr nicht zu erkennen zu geben, so abschreckend war der erste Eindruck, den jene un­glückliche Frau auf mich machte.

,Ja ich bin eine Deutsche ausgestoßcu von meiner Familie einst, eine hülflose Waise kam ich hieher, als Begleiterin einer englischen Dame. Der Zufall führte mich nach Madras, dort lernte ich Kapitän Macduff kennen, meinen verstorbenen Mann/

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