Heft 
(1885) 27
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Sie stöhnte und verlangte zu trinken derAthem ging ihr aus, sie rollte unnatürlich mit den Augen.

.Keinen Arzt/ fuhr sie dann leise fort, ,die Aerzte taugen alle nichts, vorzüglich diese unwissenden Pfuscher hier. Zu Hause, das geht an, aber nicht hier. Bei meinem Manne habe ich mir das Reisen angewöhnt und unterwegs helfe ich mir selbst/

Nun sie wurde ernstlich krank trotz dieser Selbsthülfe und schwebte einige Wochen haarscharf am Rande des Grabes hin. Glücklicherweise blieb Mr. Bogham in dienstlichen Geschäften in Dinapur, eine Meile von Patna nur und höher und gesünder ge­legen, woselbst sich die Garnison für die Stadt be­findet. Von dort schickte mir meine Freundin einen tüchtigen Militärarzt, der es fertig brachte, die er­löschende Flamme von Neuem anzufachen.

Ich blieb die ganze Zeit bei der wiedergesundenen Verwandten, denn so groß auch mein anfänglicher Abscheu war gegen diese stöhnende Fettmasse die Gute möge es mir verzeihen! es war meine Pflicht, sie nicht im Stich zu lassen. Und seltsam, Marie, sie entdeckte es zuerst, daß wir eines Blutes waren, oder kam doch der Vermnthung sehr nahe.

.Kind, was Sie meiner verstorbenen Mutter ähneln/ sprach sie manchmal, wenn sie mich ans ihren kleinen Fensterluken halbe Stunden lang regungslos angestarrt hatte.

.Das ist wohl nur ein Spiel des Zufalls, Mrs. Macduff/ versetzte ich abwehrend.

Nach etlichen Minuten erwiederte sie dann mit derselben matten Stimme, aber mit einer eigen- thümlichen Hartnäckigkeit:

.Sie sehen ihr sehr ähnlich, meiner guten, seligen Mutter. Wie ist doch Ihr Name?' fügte sie eines Tages dann hinzu.

.Elisabeth/

.Und von wo sind Sie Herd'

Ich konnte, ohne die Unwahrheit zu sagen, nicht länger ausweichen, ich nannte ihr meine Vaterstadt.

Da geschah ein Wunder, ohne jede fremde Hülfe richtete sie sich ans. Seltsam schwammen ihre Aeuglein in der Tiefe, beinahe hastig bewegte sie die Hände und den Kopf.

Sie wiederholte den Namen und starrte mich an.

.Aus Deutschland eine Deutsche?!' stöhnte sie. ,O die Heimat, o meine liebe, theure Mutter ... o ... o!'

Lächle nicht, Marie, es war ergreifend. Eine Seele, eine gefolterte, vielgeprüfte Seele trat plötz­lich in jene kleinen Augen, ein Ausdruck, der mir verwandt vorkam, etwas Bekanntes, Anheimelndes, hier in der weiten, fremden Welt.

Da sagte ich es ihr, wer ich bin und was mich Hinausgetrieben hatte, und wie ich es sprach, weinte der Koloß, weinte wie ein Kind, Marie, und zog mich an sein Herz. In meiner Erzählung fand sie den ganzen Jammer ihres eigenen Lebens wieder.

Nun, Gott Hab' sie selig! sie war eine gar seltsame Frau, die so gefundene, mir bis dahin stets sagenhafte Erbtante, aber im Grunde ihres Herzens war sie, trotz aller Schrullen und üblen Ge­wohnheiten, ein ehrenhaftes, braves Weib geblieben.

Sie sagte mir, sie sei glücklich, mich gefunden zu haben, in einem Kauderwälsch von Englisch und Deutsch beschwor sie mich, sie nicht wieder zu ver­lassen. Was soll ich Dir sagen, widerstrebend zwar willigte ich endlich ein die verwandtschaftlichen Beziehungen üben eben eine stärkere Kraft auf uns in der Fremde, als daheim, wo sich uns vielfacher Ersatz bietet. Aber Gott ist mein Zeuge, ich folgte nur dem Gefühle meiner Pflicht, ich dachte niemals daran, die Tante Zu beerben; ich versichere Dich, es war ein Opfer, welches ich brachte.

Mit schwerem Herzen gab mich Mrs. Bogham frei, nach etlichen Wochen, als die dienstlichen Be­sichtigungen ihres Gatten in Dinapur beendet waren, reisten sie ab nach dem nicht allzu fernen Allahabad, während wir nach Tschittra gingen, in's nahe Ge­birge, als meine Verwandte endlich wieder transport­fähig war. Wir machten diese Reise auf dem Rücken von Elephanten, in kleinen Sonnenzelten, in denen wir bequem auf Polstern ruhten, eine Fortbewegungs­art, die mir anfangs sehr seltsam vorkam.

In kleinen Tagemärschen erreichten wir das Gebirge; das kräftigere, gesunde Klima, das dort herrschte, die größere Kühle vor Allem ließen uns aufleben. Vier ganze Monate blieben wir in einem Landhause, welches der Tanie gehörte, in dem schönsten Erdenwinkel versteckt, den Du Dir nur träumen kannst, dann wurde der Rückmarsch an­getreten, mit Sack und Pack und einem Troß von Dienerschaft, welchen ein alter Schotte, der schon unter dem seligen Macduff gedient hatte, derselbe, der Dich von der Bahn abholte Mr. John, unter seiner Aufsicht und Fuchtel hatte, der war das Faktotum meiner Tante.

Wir erreichten die Bahn und dampften nach Kalkutta, um die Regenzeit dort abzuwarten, und ich lebte bei meiner Tante in allem Luxus zwar, aber sonst wie eine Vemrtheilte, denn die alte Dame war im höchsten Grade eigenwillig und sonderbar. Abgesehen von dem Brandy und dem Schnupfen hatte sie die Ge­wohnheit zu erzählen, bis ihr der Athen: ausging, alte, längst verschollene Familiengeschichten, von Orten und Personen, die ich gar nicht kannte, von ihrem Seligen besonders und von ihren Reisen, von ihrer Jugendzeit und den bösen Verwandten, die ihr nach dem Leben trachteten. Letzteres war ihre fixe Idee. Ich war gezwungen, das Alles hundertmal mit anzuhören, täglich, stündlich in ihrer Nähe Zu sein und mich ihrem Willen unterzuordnen, weßhalb und wie ich das so lange aushielt, ich begreife es heute selber nicht.

Als sie wieder einmal das Asthma und die Schmerzen ganz besonders plagten, ließ sie Herrn Shap- mann, ihren Advokaten, kommen, denselben, welchen die Familie als Agenten benützte, ein außerordentlich ehrenwerther Mann, der die Tante von jenem Auf­träge ihrer habsüchtigen Verwandten augenblicklich in Kenntniß gesetzt hatte und Jenen nur das mittheilte, was die Tante für gut hielt, nämlich, daß sie noch lebte, gesund sei und noch zwanzig Jahre zu leben hoffe; auch über ihren Aufenthaltsort mußte er sie fortwährend im Unklaren erhalten. Diesen Mr. Shapmann also ließ sie rufen und schloß sich für