Heft 
(1885) 27
Seite
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Die Erbtante von Johannes van DeivaU.

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lassen; es ist irgend ein Schmarre," murmelte sie im heimatlichen Dialekt. Plötzlich aber fuhr sie zusammen: die Thüre ging auf mit Geräusch, herein schwankte eine seltsame Gruppe.

Marie erhob sich erschrocken.

Zwischen zwei gelbbraunen, in fremdartige Ge­wänder gekleideten Gestalten bewegte sich eine dicke Masse schwerfällig vorwärts, von diesen unterstützt. Beim Näherkommen unterschied die Betroffene eine Art von Schlafrock ans kostbarem indischem Seiden­stoff, von einen: Mufselinturban überhöht, von welchen: einige shawlartig gewundene Tücher herabfielen, deren zwei von verschiedenen Seiten her ein rothes,- runzeliges Menschenantlitz einsaßten, von dem man kaum mehr erkennen konnte, als die Augen und ein Stück der Nase.

In den behandschuhten Händen hielt diese Ge­stalt eine reich mit Steinen besetzte Dose, eine kleine Tasche und ein großer Fächer waren an dem langen, schleppenden Gewände befestigt.

äobuG ries eine tiefe, dumpfe Stimme hinter den Tüchern hervor mit einem Kauderwälsch von Deutsch und Englisch,gik branä/ anä nater!^

Mit einem Glase, dessen Inhalt eine verdächtig braune Farbe hatte, eilte der schottische Diener herbei, die Alte ergriff es und führte es mit zitternden Händen an ihre Lippen; ihre Angen funkelten vor Gier und Behagen, als sie trank.

Stell' fort, John . .. Wuer ist das junge Frauenzimmer dort? Ist das eine Bekannte von meiner Nichte Elisabeth?" fragte sie dann, Marie Werner bemerkend, welche mit einer gar seltsamen, fast furchtsamen Miene dem eigenthümlichen Schau­spiel zuschante. Sie klopfte auf ihre Dose, nahm eine Prise Tabak und rief noch einmal mit der rauhen Grabesstimme:John wncr ist sie?"

Dabei schwankte sie schwerfällig näher herzu, auf die Unbekannte los. So unheimlich war das Ganze, daß Marie erblaßte und ihr der Athen: still stand.. Hatte Elisabeth gelogen? War das Alles nur ein Märchen? Unmöglich! Aber die Person lebte, sah sie an mit ihren rollenden Angen starr, unverrückt, während sie näher kam, und die beiden braunen Menschen mit den melancholischen Augen waren ebenfalls Fleisch und Blut.

Eine namenlose Angst ergriff sie wider Willen, sie wollte fliehen, in kindischer Furcht davon lausen; als ahnte die Begum ihre Absicht, rief sie ihr plötzlich ein befehlendesBleib'!" zu und bannte sie so an ihren Platz.

llelelnmG * kommandirte sie und gleich hinterher LbureG** mit der Stimme und Miene eines Korporals.Laßt mich niedersitzen."

Die beiden Hindus betteten sie weich in die Ecke des Sophas und traten ehrfurchtsvoll zur Seite.

Geht hinaus!" kommandirte sie weiter.

Die beiden Gestalten verbeugten sich und ver­ließen das Gemach. Marie vergingen fast die Sinne, sie blieb mit dieser Maschine allein, die sie fortgesetzt mit ihren scharfen, zugekniffenen Augen musterte.

* Achtung.

** Halt.

Plötzlich aber änderte sich die Szene, wie elektrisirt fuhr die blonde Wienerin empor: jene Masse hatte abermals gesprochen aber mit ganz veränderter Stimme jetzt.

Gelt, Marie, Du fürchtest Dich?" hatte sie ge­fragt. Sie hielt sich an dem Tische fest, das Weinen war ihr näher als das Lachen. Sie wollteLisel!" rufen vor Schreck, sie sah sich nach der Klingel um; da sprach die Alte wieder, und dieses Mal aber mit Lisel's freundlicher Stimme und mit einen: Hellen, herzlichen Lachen hinterdrein.

Wird's gehen, mein Liebling?" fragte sie,Du siehst, ich habe noch nicht ganz die alte Kunst ver­lernt."

Lisel ... ja, Lisel!" rief da Marie mit großen, schier unnatürlich weit aufgerisscnen Angen und faßte sich nach dem Herzen. Schwankend, wie zwischen Traum und Wirklichkeit, ihr ganzes Gesicht ein großes Fragezeichen, so starrte sie die Erbtante an, die jetzt mit einer Bewegung die Tücher zur Seite schob und sich den Turban abnahm, unter welchem ihr schönes, dunkles Haar Znm Vorschein kam. Das Gesicht freilich war unkenntlich, denn das war arg geschminkt. Das Ganze war so komisch und so packend zugleich, daß, ohne auf diese Schminke zu achten, Marie der Freundin jubelnd um den Hals fiel.

Wie konntest Du mich so erschrecken?" rief sie lachend und weinend durcheinander.

Glaubst Du nun, daß ich's durchführe?" fragte Jene ernster werdend zurück.

Ja, wenn Du Deine Rolle so gut auswendig kannst, dann muß es Dir wohl gelingen!"

Ich hatte Zeit genug, sie einzulernen."

Du lieber Himmel, welch' eine Idee!"

Und willst Du mir helfen, Marie?"

Das will ich gern und gewiß!" versicherte diese.

Du brauchst Dich nicht einmal zu verkleiden, Schatz, Deine Nolle wird viel leichter sein wie die meine..."

Ich thue Alles, was Du willst und wenn es zu Deinem Glück führt."

Dann schlage ein! . . . Mein treuer Gehülse?"

Ich schlage ein . . . mein Wort darauf!"

Topp! ... Arm in Arm mit Dir, so fordere ich mein^,Schicksal in die Schranken!"

Fünftes Kapitel.

Sie hatten es nicht allzu eilig, die beiden jungen Damen, sie waren Beide heitere Naturen im Grunde, sie wollten das Leben und die Freiheit erst ein wenig genießen, ehe sie an's Werk gingen, während die Begum daheim saß, Wohl behütet durch die fröstelnde indische Dienerschaft, welche Niemand von den Leuten des Hotels oder andere Zudringliche zu ihr herein ließen, die Begum wurde von den Kellnern über­haupt nur selten und flüchtig gesehen, und dann jedesmal durch zwei oder drei Thüren und wenn die jungen Damen zu Hause waren. Hamburg bietet selbst im Sommer der Vergnügungen gar viele, außerdem lagen Helgoland und die holsteinische Küste sehr nahe und verlockten zu manchem kurzen Aus­fluge. Wie gesagt, die Damen genossen ihr Leben